Asamat
Mitglied seit 10 Jahre 8 Monate

High-Level-Bild: Wie könnte es weitergehen mit der Staatsschuldenkrise

Laßt uns mal versuchen, ein High-Level-Bild zu entwerfen, welche möglichen Lösungen oder Weiterentwicklungen es geben könnte. Stellen wir uns beispielsweise vor, wir wären ein Berater von Frau Merkel mit dem Auftrag, eine Studie über mögliche Lösungwege zu erstellen. Oder wir wären ein Diktator eines fiktiven, aber europäischen Staates (also jemand, der keine Rücksicht auf Wahlkämpfe oder Parlamente nehmen muß).

Versuchen wir, von den täglichen Fernsehbildern und -3% im DAX zu abstrahieren: was ist in zehn Jahren im Rückblick noch relevant? Ich denke, folgende Aussagen werden auch in den kommenden Monaten und Jahren nicht umgestoßen werden. Mit ihnen als Grundlage könnte man versuchen zu erraten, was passieren kann und was nicht.

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1) Der Euro wird nicht "zerbrechen".

Wie immer auch "Zerbrechen" aussehen sollte. Die Konstruktion des Euro war und ist eine politische Entscheidung, keine wirtschaftliche. Daher kann ein Zerbrechen der Euro oder ein Verlassen eines Landes nur eine politische Entscheidung sein. Märkte oder Spekulanten haben keine Möglichkeit, ein Zerbrechen des Euros zu erzwingen (oder? Wie sollten sie es können?). Für jedes einzelne Land in Schwierigkeiten ist das Verlassen des Währungsraumes in jedem Fall eine schlechtere Option als das Verbleiben. Daraus folgt, daß niemand freiwillig geht. Und da niemand ausgeschlossen werden kann, wird kein Land den Währungsraum verlassen.

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2) Default mit Haircut ist die einzige Möglichkeit, die den Griechen bleibt.

Offensichtlich können die Griechen ihre Schulden nicht abtragen, und nach 1) auch nicht entwerten. Bleibt der Default als einzige Möglichkeit. Was sonst? Das hat zwei Auswirkungen: zum einen werden die Bilanzen der Gläubigerbanken belastet (das ist ja eine der Begründungen für die Hilfe). Zum anderen werden die Steuerzahler in DE und anderswo für ihre Garantie der Griechenlandkredite geradestehen müssen.

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3) Die Hilfe für Griechenland und andere europäische Staaten wird noch viel teuer werden, ...

Für die Griechen sind nur zwei, drei Jahre gewonnen, dann stehen wir wieder auf "Start" in der gleichen Situation wie jetzt. Andere gefährdete Länder werden die hohen Zinsen ebenfalls nicht ohne Hilfe bezahlen und gleichzeitig ihre Schulden abtragen können.

Problem ist, daß noch nie irgendwo ein Defizit eines Staatshaushaltes durch Sparen verringert wurde. Das Defizit steigt, weil Staats-Sparen Wirtschaftswachstum kostet und die Steuereinnahmen zurück gehen. Defizite in Staatshaushalten in einige Male durch Wirtschaftswachstum verringert wurden. Das klappt nicht konsistent und verläßlich, es gibt auch genug Gegenbeispiele, aber es ist das einzige, was überhaupt irgendwo funktioniert hat. Durch Sparen geht es jedenfalls garantiert nicht.

Die trotz "Rettungspaket" steigenden Zinsen der betroffenen Länder zeigen, daß der Markt das genauso sieht.

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4) ... und wir werden sie leisten.

Ist es darum falsch, ihnen jetzt zu helfen? Nein. Ob man will oder nicht, wir leben in Europa und sind Europäer. Wir sind auch (noch) Deutsche und leben in Deutschland, aber international hat Deutschland kein Gewicht mehr. Nur im Verbund von ganz Europa haben wir politisch wie wirtschaftlich überhaupt eine Chance, unsere Interessen bei und gegen USA, China und Indien durchzusetzen. Von den zwei Wegen
- Deutschland schließt seine Gedanken und Grenzen und besinnt sich auf sich selbst, zum Teufel mit den Griechen, und
- wir gestalten Europa und damit unsere Zukunft
kommt in der Realität nur einer in Frage. Dieser Logik werden sich weder Deutschland noch andere Euro-Länder noch die Nicht-Euro-EU-Länder entziehen können. Darum werden auch z.B. Litauer bezahlen, (die es sich eigentlich nicht leisten können), und darum kann sich z.B. die SPD nicht verweigern.

Ironischerweise könnte es sein, daß die Schuldenkrise mehr zum weiteren Voranschreiten der europäischen Einigung beiträgt, als alle diesbezüglichen Gipfel der letzten Jahre. Auch die Abgabe von weiterer Souveränität von den Mitgliedstaaten zur EU (Richtung Superstaat) ist wieder denkbar, was vor zwei Jahren noch völlig out schien.

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5) Die EZB wird Geld drucken wie die Fed.

Wo wird das Geld her kommen, wenn die Staaten gemeinsam nicht genug aufnehmen können? Mir fallen spontan lediglich zwei Möglichkeiten ein, nämlich entweder den freien Geldfluß einzuschränken, oder Geld zu drucken. Von den beiden Alternativen scheint mir die zweite viel leichter durchsetzbar, daher wird sie passieren. Erstens gewinnen dabei viele, während die Verlierer der Maßnahme keine Lobby haben und keinen Wiederstand leisten. Zweitens liegt es sowieso im langfristigen Interesse aller Staaten, ihre Schulden wegzuinflationieren. (Hier meine ich nicht nur die bereits aufgenommenen Schulden, die zur gegenwärtigen Krise führten, sondern vor allem auch die langfristigen, bisher buchhalterisch totgeschwiegenen Schulden wie Renten, Pensionen, Sozialleistungen.)

Wenn etwas im Interesse aller Staaten und aller Politiker ist, wird es auch passieren. Wir werden sehen, wieviel die von Ronin noch vor einigen Wochen gerühmte politische Unabhängigkeit der EZB wert ist. Nichts, aber das ist dann auch richtig so. Wenn die Wahl letztendlich nur zu bestehen scheint zwischen
- Geldwertstabilität und Schrumpfen der Wirtschaft einerseits, oder
- höhere Inflationsraten mit Wirtschaftswachstum andererseits,
ist die Wahl für mich klar.

Asamat
Mitglied seit 10 Jahre 8 Monate

@ benedikt54 [#11]

Das ist vollig verständlich, was Du an Gefühl äußerst. So fühlen wohl die meisten, gar fast alle Deutschen. Jedoch machen Gefühle die Aktion von gestern nicht falsch und entkräftet nicht die Argumente 1) - 5) von oben.

Die Lage ist, wie sie ist, die Fehler sind passiert. Man kann nur nüchtern schauen, was man jetzt volkswirtschaftlich als Bestes machen kann. Schuldige für Fehler zu finden ist generell psychologisch befriedigend, aber einer Verbesserung des künftigen Verhaltens meist eher abträglich. Die, die Fehler gemacht haben, wissen das meist selbst ganz genau, ohne es von anderen reingerieben zu bekommen. Glaubst Du, die Griechen sind gerne auf einmal der Arsch der Welt, und sonnen sich in dem Bewußtsein, eigenhändig die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrundes gebracht zu haben?

Natürlich nicht. Jeder Deutsche, der künftig in Athen im Cafe sitzt und eine Bemerkung fallen läßt, wird den Cafe-Besitzer in den kommenden Jahren daran erinnern. Ich bin felsenfest davon überzeugt: Regierung und Parlament von Griechenland werden - wenn die akute Krise erst mal überwunden ist - alles, alles tun, um von dem Spitzenplatz in der Schuldenliste weg zu kommen. Man könnte jetzt dort auch die Kommunisten dran lassen, selbst das würde nichts ändern. Die Griechen werden beim nächsten Mal nicht diejenigen zu sein, welche ...

Man sollte nun sehen, daß man den Druck überträgt auf die anderen Kandidaten, damit sie ihr Haus in Ordnung bringen, um nicht als nächste am Pranger zu stehen.

benedikt54
Mitglied seit 10 Jahre 8 Monate

@ Asamat [#12]

Warum sollte es nicht möglich sein, das die Griechen aus dem Verbund aussteigen? Wenn hier als Argument herangezogen wird das es Verträge gibt, dann kann man dagegenhalten das sie sich ja auch nicht an die Verträge gehalten haben.

Wer bescheisst, belügt und betrügt fliegt raus. Ganz einfach.

Ich denke, das diese Massnahme einen massiven erzieherischen Effekt auf alle Teilnehmer hätte.

Mal ganz abgesehen von der Glaubwürdigkleit.

Griechenland inflationiert und die Banken bleiben auf den Verlusten aus den Anleihen hocken. Kommt vor wenn man spekuliert.
Aus Amen.

Wenn Sie wirklich nicht in der Lage wären die Belastung zu stemmen, dann soll der Staat bürgen. Wie schon einmal erwähnt, die Wahrscheinlichkeit von einer deutschen Bank das Geld zurückzubekommen, ist allemal höher als die Wahrscheinlichkeit das Griechenland zahlt.

Es handlelt sich doch nicht um ein unumstössliches Dogma, sondern eine politsche Entscheidung die getroffen wurde und die sich als falsch herausgestellt hat.

Wieso kann man sowas nicht rückgängig machen?

Ist es so schlimm zuzugeben das man in teilbereichen gescheitert ist?

Exportweltmeister waren wir auch schon vor dem Euro. Man tut so als würde die Welt zusammenbrechen.

Asamat
Mitglied seit 10 Jahre 8 Monate

@ benedikt54 [#13]

siehe oben # 4)

Global_2
Mitglied seit 10 Jahre 8 Monate

@ benedikt54 [#13]

Warum sollte es nicht möglich sein, das die Griechen aus dem Verbund aussteigen?

Weil das dann der Beginn des Zerbrechens der Euro-Zone wäre. Die Märkte würde sich dann sofort darauf einstellen, dass mittelfristig weitere Kandidaten aussteigen. Die Folgen für die Banken und das Finanzsystem wären völlig unkalkulierbar, es würde blankes Chaos herrschen. Mit Negativ-Folgen auch für Deutschland.

Exportweltmeister waren wir auch schon vor dem Euro. Man tut so als würde die Welt zusammenbrechen.

wobei die deutschen Mittelständler notorisch eigenkapitalschwach sind.
Das hat in D auch kulturelle Gründe, eine Aktienkultur gibt es ja nicht, und Aktionäre sind was grundsätzlich Böses. Man erkennt das schon, wie wenig Industrie an den deutschen Börsen eigentlich gelistet ist, wie wenig das deutsche Aktienuniversum also die deutsche Wirtschaft wirklich repräsentiert. Da findet man ja teilweise Industriekonzerne mit Operationen in Deutschland eher an US-Börsen als hier an dt. Börsen.

Schau Dir doch nur mal als Beispiel eine Gildemeister (Masch.Bau) an: sie ist hochverschuldet, margenschwach. Die Banken verdienen an ihr aber gut.

Höhere Zinsen würden sofort bei solchen Industriekonzernen zu Problemen führen. Das Gejammer während der Finanzkrise gab's doch nicht nur von Banken, bezeichnenderweise riefen auch hochverschuldete Industriebetriebe (z.B. Auto-Zulieferer) nach einem staatlichen Rettungspaket. Ich hatte damals gedacht: niemand hat die gezwungen, so ein hohes Gearing mit Fremdkapital und nur wenig Eigenkapital zu fahren. Das ist eben der Fall, wenn die Eigentümer einerseits die Rendite auf ihr Eigentkapital maximieren wollen, anderseits aber auch nicht mit Aktionären teilen wollen, woraufhin dann eben kaum Eigenkapital per Börsengang beschafft wird. Gelistet an dt. Börsen werden überlichweise oft fundamental nur begrenzt attraktive Unternehmen oder eben Stocks aus New-Economy Sektoren (Solar, Medien), bei denen dann die Aktionäre sehr viel Risiko tragen sollen.

benedikt54
Mitglied seit 10 Jahre 8 Monate

@ Global_2 [#15]

Sorry, sehe ich nicht so, aber die Zeit wird es zeigen.

Ich glaube eher das der Euro massiv an Glaubwürdigkeit gewinnen würde, wenn man ein Exempel darstellen würde.

Mit dem angeblichen Rettungsschirm (ho,ho.ho) hat die EZB als Hüterin der Geldwertstabilität ihren Status am Wochenende an die Politik abgegeben.

Dieser Schritt wird den Euro jetzt wohl wirklich massiv schwächen.

Aus diesem Grund habe ich ihn auch Heute bei 1.3040 verkauft.

tantan
Mitglied seit 10 Jahre 8 Monate

Das Problem ist doch nicht nur Geld und Wirtschaft. Das Problem ist das es immer die selben sind die Zahlen und immer die selben die bekommen. Und zwar völlig unabhängig vom Schuld und Fehlern. Jeder hat doch schon von den Expiriment gehört, wo einer nach gut dünken verteilen darf und der andere nur die Wahl hat zu akzeptieren oder beide leer ausgehen zu lassen. Der dt. Steuerzahler ist nun soweit alle (dt. Politiker, Banker, Manager, ...und sich selber) leer ausgehen zu lassen. Last uns das Spiel alle als Verlierer beenden. Es ist nähmlich ein dummes Spiel.

Archie
Mitglied seit 10 Jahre 8 Monate

@ benedikt54 [#16]
"...habe ich ihn auch Heute bei 1.3040 verkauft."
Böser Spekulant! ;)

In der Zeitung gab es heute einen sehr guten Kommentar:
Die Kritik der Politiker an den Spekulanten sei genauso dumm und nutzlos, als wenn jemand das Fieberthemometer beschimpft, weil es erhöhte Temperatur anzeigt.

Global_2
Mitglied seit 10 Jahre 8 Monate

@ benedikt54 [#16]

ich sehe es ja auch so: es wäre in einer Weise völlig richtig, GR aus dem EUR rauszunehmen und ein Exempel zu statuieren.

Aber Hintergrund für dieses "EU-Rettungspaket" ist die blanke Angst vor dem Entstehen eines Flächenbrandes, d.h. dem Übergreifen auf weitere Staaten und dann in Folge auf das ganze Finanzsystem. Finanzkrise 2.0 reloaded.

Selbst wenn dt. Banken + Versicherungen nicht viel direktes Exposure zu den Problemstaaten haben, sie können auch indirekt mit drinhängen, da Banken sich eben untereinander Geld leihen. Niemand kann doch wirklich sagen, was im Fall einer Eskalation passieren würde. Und eine Eskalation kann doch kaum gewollt sein (höchstens manche Spekulanten wünschen sich das und jubeln dann dabei, wenn die Rechnung aufgeht).

benedikt54
Mitglied seit 10 Jahre 8 Monate

@ Global_2 [#19]

Wieso denn?

Ein sogenannter Flächenbrand ist doch bereits durch die Spekulation eingepreist worden. Es überrascht doch wirklich keinen, wenn nun auch noch Italien oder Spanien oder Portugal antanzt.

Ein wesentlich grösserer Schaden wäre meineserachtens nicht entstanden.

Wie gesagt, im Gegenteil.

Das ganze hätte positive Auswirkungen auf das Verhalten der teilnehmenden Länder und der in der Einschätzung des Marktes.

Das was wir jetzt haben ist nur eine Bestätigung das Korruption, Misswirtschaft und Bilanzfälschung ein Vergehen darstellen was zwar mit widerwillen gedulded wird, aber es bleibt ohne Wirkung auf die Verantwortlichen.

Die Geldschleusen sind geöffnet worden und die EZB quasi entmachtet.

benedikt54
Mitglied seit 10 Jahre 8 Monate

@
Es wird auch immer mit einem Angriff auf die Eurozone und den Euro geschwafelt.

Vielleicht kann man sich noch daran erinnern, das der Euro nach Einführung bei 1,18 notierte und dann bis in den unteren 0,80 Bereich abgewertet wurde.

Eben, wegen mangelnden Vertrauen.

Heute notiert er bei 1.30

Von einer wirklichen Schwäche kann man wohl kaum reden. 200 und mehr pips hat der Markt doch schon nach schwachen US Zahlen an den Tag gelegt.

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