Schweine: Realitätsverlust in der Landwirtschaft - Horst Hermannsen
Kommentare: Realitätsverlust – Lieferstopp bei Schlachtvieh, Gastkommentar von Horst Hermannsen, Korrespondent der Agrarzeitung Erährungsdienst
(22.10.07) - Dass die Existenzangst in etlichen Veredelungsbetrieben umgeht, ist unbestritten. Noch nie wurden in der EU so viele Schweine erzeugt wie im laufenden Jahr. Ein Rekordangebot von nahezu 53 Millionen Schweinen allein in Deutschland trifft auf eine unveränderte Nachfrage. Das Überangebot an Schlachtschweinen muss zu einem Preisdruck führen. Hier sind keine finsteren Mächte am Werk, sondern die Landwirtschaft selbst hat sich in diese Situation gebracht. Erschwerend kommen noch die explosionsartig gestiegenen Futterkosten hinzu. Was für die Marktfruchtbetriebe eine wundersame Geldvermehrung ist, nämlich die rasant gestiegenen Getreideerlöse, können manchen Viehhalter in den Ruin treiben. Der Bauernverband gerät in eine Zerreißprobe. Flehentlich appellieren seine Funktionäre an eine bäuerliche Solidarität, die es nicht gibt.
Fieberhaft wird über Vermarktungsstrategien nachgedacht. Dies mag sehr löblich sein, es führt aber nicht aus dem Dilemma, solange mehr Fleisch produziert als nachgefragt wird. Das wissen auch die Mäster und so wird, wie nicht anders zu erwarten, der Ruf nach staatlichen Hilfen zunehmend lauter. Über Exporterstattungen soll die Politik für eine sofortige Marktentlastung sorgen. Die Frage, weshalb die öffentliche Hand für unternehmerische Fehlentscheidungen gerade stehen soll, wird nicht beantwortet.
Je größer die Not, desto bizarrer sind die Vorschläge. Zaghaft erst werden Drohkulissen aufgebaut, die häufig nur mit Realitätsverlust zu erklären sind. Ähnlich wie das vom Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM) aufgeführte Kasperletheater „Milchstreik“ kündigen einige Mästervertreter einen Lieferstreik bei Schlachtvieh an, sollten die Erzeugerpreise nicht spürbar anziehen. Das ist wieder so ein Schnellschuss, wie man ihn zur Genüge kennt: Hauptsache, es wird etwas gesagt – informieren kann man sich ja später. Allein der Begriff „Streik“ zeigt, wie wenig diese Strategen sich als Unternehmer verstehen. Ein Unternehmer kann nicht streiken, das können höchstens seine Mitarbeiter. Gemeint ist also ein Lieferstopp, der die nachgelagerten Stufen zu höheren Preisen zwingen soll. Das Ganze hätte man einfacher haben können, indem die Produktion der Nachfrage angepasst worden wäre. Aber offensichtlich fallen Marktprognosen in euphorischen Zeiten schwer. Im Übrigen würde ein Lieferstopp in erster Linie jene Landwirte hart treffen, die sich daran beteiligen. Schlachtschweine können nicht irgendwie entsorgt werden, sondern müssen später als schwer verkäufliche Artikel mit Preiszugeständnissen ihre Abnehmer suchen.
Wer inflationär mit großen Worten und Drohgebärden umgeht, wird bald nicht mehr ernst genommen. In Teilen der Landwirtschaft ist dies bereits der Fall. Schlachtbranche und Letztverteilerstufe haben jedenfalls für derartige Ankündigungen kaum noch ein müdes Lächeln übrig.
Der Kommentar erschien am 17.10.2007 im Ernährungsdienst Nr. 78
@ pork cutter [#1]
Der Kommentator hat recht,
wer als Mäster oder Ferkelerzeuger sein Geld (oder das der Banken) nicht anders verwendet als in neue Überproduktion zu investieren, der hat keinen Anspruch auf Unterstützumg . Für seine Fehlentscheidung hat er selbst gerade zu stehen.
Das gleiche gilt aber auch für die Überkapazietäten im nachgelagertem Bereich.
Trotzdem bin ich gespannt auf die Meinung des gleichen Kommentators, wenn sich in etwa einem Jahr der Markt bereinigt hat, die Überproduktion durch Insolvenzen in einen Mangel verwandelt hat.
Schreibt er dann auch wieder über Fehlentscheidungen der landw. Unternehmer ?
Als Außenstehender ohne Betriebsverantwortung lässt sich leicht urteilen.
Gruß Paul
Es ist aber trotzdem ein Fehler; wenn der Staat eingreifen sollte; ( was Brüssel ja macht) oder es aber einen "Streik" geben sollte...
Der Markt wird sich selber konsolidieren.
Bislang war es immer so, dass in anderen Ecken Deutschlands die Schweinemast einzug gehalten hat; indenen traditionell keine oder nur weniger Schweine gemästet wurden; wie im Hannover Raum; Hessen; Schleswig Holstein oder in den neuen Ländern; da dort die bislang flächenstarken Betriebe ihr Getreide gewinnbringender ( glaubten die zumindest) in der Schweinemast verwerten zu können.
Dort wurden auch gleich immer 1000-2000 Mastplätze gebaut; um dann festzustellen; dass nicht immer alles Gold ist was glänzt.
Denn hohe Vorkosten; wenig Vermarktungsalternativen und teure Zusatzkomponenten haben auch dort so ein klein wenig die Kollegen wieder auf den Teppich holen lassen; anders als es die Berater vorgerechnet haben.
Und nun ist zu allem Überfluss auch noch das "billige eigene Getreide" abhanden gekommen; sodass der Frust natürlich tief sitzt.
Denn in Marktfernen Regionen hat man nunmal das Problem; dass die neuen Ställe erstmal da sind; und bezahlt werden müssen; es aber zukünftige Abnehmer so wie in bspw. Süd-Oldenburg nicht gibt; vorallen Dingen wenn man nicht gewillt ist; den Stall zu verpachten und dann auch noch füttern zu müssen.
In Schleswig-Holtein stellt sich dagegen die Lage anders da; dort warten viele Kollegen aus DK; um die Ställe zu übernehmen.
So kommt; was kommen muss.
Der Berufsstand schreit; um zu retten was zu retten ist.
Das Grundproblem wird sich aber vonselber lösen.
Irgendwann.
In dem Sinne
MFG
Mühlenbach
Herr Hermannsen hat in seinem Kommentar wirklich treffend einige wunde Punkte unserer Branche beschrieben. Die ständige finanzielle Einmischung staatlicher Stellen in den vergangenen Jahrzehnten hat uns in gewisser Weise verdorben. Wir wollen Unternehmer sein, schreien aber wenn es mal nicht so läuft gleich nach dem Staat. Unser Investitionsverhalten ist ebenso häufig irrational. Wie oft kommt es vor, dass gerade Steuerberater in Erwartung guter Buchabschlüsse zu Investitionsschritten hin beraten nur um durch zusätzliche Abschreibungen Steuererleichterungen zu erzielen (das ist aus Sicht des Steuerberaters gut, denn sein Ziel ist damit erstmal erreicht). Ob der Investition eine langfristige Rentabilitätserwartung und strategische Zukunft zugrunde liegt wird oft nicht hinterfragt. Und weil wir einfach nicht klüger werden, muß uns der Markt in regelmäßigen Abständen zeigen, was wir nicht kapieren wollen.
MfG,
wollewatz.
@ Muehlenbach [#3]
Willst Du damit sagen, daß die Mäster in "anderen Ecken Deutschlands" schuld sind an der Überproduktion ?
In Süd-Oldenburg wird am meisten gebaut,trotz Gülleüberhang, trotz Mais-monokultur, trotz des Rufes als "stinkendster Teil Deutschlands.
Auf Dauer gehört die Schweineproduktion an die Fläche und die Gülle gewinnbringend zur Pflanze, nicht als Abfall kostentreibend zu immer dichter werdenden Maststallkonzentration.
Die größten Probleme in der Zukunft haben nicht die flächenstarken Betriebe irgendwo in Deutschland, den Kollaps gibt es dort, wo eine überzogene Veredlung auf zu geringer Fläche immer mehr Überproduktion schafft.
Das nicht mehr vorhandene billge Getreide trifft die Fertigfuttermäster genauso wie die Selbstmischer.
Jedenfalls sind wir in einem Punkt einig: Der Markt wird es schon regeln!
Gruß Paul
hallo,
"der Berufsstand schreit; um zu retten was zu Retten ist", da stellt sich mir die Frage: ist den der Berufsstand noch zu retten?
Die heutige Marktlage wurde durch eine blauäugige Strategie einiger Berufskollegen ausgelöst. Es wurden und werden immer mehr neue Ställe gebaut nach der Devise: Bislang lief es ja immer, mal besser mal schlechter, in der Schweinmast und Sauenhaltung und so wird es wohl weiter gehen. Das ist ein Irrtum. Der Schweinemarkt hat nur ein begrenztes Potenzial an Abnehmern und Abnahmemengen und ist gesättigt. Das Angebot steigt und steigt und steigt. Die Exportbedingungen verschlechtern sich z. Zt. durch den hohen Eurokurs gegenüber dem Dollar. Der Binnenmarkt ist total überversorgt und kann somit nicht entlastend wirken.
Nach meiner Meinung sind Massnahmen wie PLH und Exporterstattungen fehl am Platze, denn dadurch wird die Problematik nur zeitlich verlagert. Ich bin dafür, dass die Marktgesetze des Angebots und der Nachfrage nicht ausgehebelt werden und sich hierdurch die Spreu vom Weizen trennen wird. Im Gegensatz zu unserem Forumsteilnehmer Mühlenbach bin ich nicht der Ansicht, dass sich das Grundproblem von selbst löst. Nein im Gegenteil: die Situation wird sich weiter zuspitzen. Die Ställe werden nicht leer stehen. Wenn sich der Eigentümer dieser Ställe die Mast nicht mehr leisten kann oder will, dann kommen die Futtermittelfirmen, Berufskollegen, Viehhändler und in Zukunft in erster Linie die Schlachtereien wie Vion, Tönnies und Westfleisch um diese zu pachten.
Um das Problem der totalen Überversorgung am Schweine- und Ferkelmarkt zu lösen gibt es nur eine Möglichkeit: die Bestandsabstockung!!!. Den Sauenhaltern bleibt teilweise nichts anders übrig, aber bei den Schweinemästern steht das Wasser noch nicht hoch genug um diesen Schritt einzuleiten.
mfg
Bigpig
@ Paul
Nein; du hast mich falsch verstanden.
Ich wollte damit nur sagen; dass neben dem wilden Bauboom hier in der Ecke; bei dem; wenn man baut und man nicht mindestens 2000 Tierplätze erstellt nichts ist; es in anderen Ecken Deutschlands auch eine Bestandsausweitung gegeben hat. Aber die Landwirte sind ja blind.
Bislang war man hier immer der Meinung; dass es ausserhalb von Münster und Oldenburg immer weniger Schweine gibt. Das war auch richtig bis 2004; als Weizen in Überschussregionen nur noch 9 Euro je dt brachte.
Die Welt aber verändert sich. Die Frage ist nur; wer schreit immer am lautesten.
In dem Sinne
MFG
Mühlenbach
Hallo zusammen,
interessante Diskussion!
Meine Fragen:
Wie viele Schweine gab es in gesamt Deutschland 1989 ?
Wie viele Schweine gab es in Osteuropa und der gesamten Sowjetunion 1989?
Wie viele Schweine gibt es in 2007 in Deutschland ?
Wie groß wird der Hunger der Welt nach Fleisch noch werden ?
Wo außer in Deutschland wird noch auf der Welt schneller aufgestockt als der Hunger nach Fleisch wächst?
Hätten wir ein ähnliches Problem, wenn der deutsche Stadt nicht so stark die Produktion von Bionenergie gefördert hätte (EEG) ?
Hätte der Verbraucher das Geld für Fleisch ausgegeben, was er jetzt an die Stadtwerke für Strom und Gas bezahlt?
Meine Einschätzung: "Man kann das Licht am Ende des Tunnels bereits recht deutlich sehen!"
Mein Tip für alle Wachstumswilligen: Erstmal nach innen Wachsen, das macht den Geldbeutel voller und dann mit diesem Geld den Hebel verlängern. Soll heißen, dass zuerst die Leistung optimiert werden muss und dann die Kapazität vergrößert werden kann.
Bin gespannt auf die Antworten.
MfG
agriculus
@ agriculus [#8]
Kann Deine Fragen leider nicht beantworten. Wenn es exakte Antworten darauf gäbe, wäre der zukünftige Preis für Schweine einfacher einzuschätzen.
@alle,
Wir schimpfen immer auf die Berufskollegen die immer neue zusätzliche Kapazitäten schaffen.
Wie stehts mit uns? Wer hat von uns in den letzten Jahren zusätzlich den Markt belastet, wer baut oder plant gerade?
Ich selbst bin vor einigen Jahren zu der Erkenntnis gekommen,daß es andere Bereiche gibt in denen man Gewinne investieren kann,auch mit guter Verzinsung.
Seit 2002 gab es bei uns keine Kapazitätserweiterung im Schweinebereich. Das gab anfangs zwar Unverständnis unter den Kollegen, inzwischen höre ich aber ganz andere Kommentare.
Wer sich aus den Zwängen des "Wachstumswettbewerbs" löst entdeckt plötzlich, daß es viele Möglichkeiten gibt unternehmerisch zu handeln.
An Alle:
nannte man das nicht früher Schweinezyklus? Die Welle wird nur etwas kurzfristiger wieder nach oben ausschlagen. Z.B. im Februar.
MfG
Berrendorf05
@ agriculus,
möchte mal wissen wo das Licht herkommt, welches Du bereits deutlich sehen kannst. Ich glaube wir haben mit dieser Durststrecke noch sehr sehr lange zu kämpfen. das einzig "Positive" ist, dass dies langsam auch andere glauben und die Stimmung ins neg. kippt. Solange hier in regelmässigen Abstsänden die doch sbald so hohe Steigerung der Fleischpreise angekündigt wird, wird es mit Sicherheit nicht besser.
JBH
Das Licht, dass ich sehe kann ich vielleicht nur sehen weil mich der Kapitaldienst nicht blind vor Verzweifelung gemacht hat. Oder ich bilde mir es nur ein weil ein Tunnel immer eine Einfahrt und eine Ausfahrt hat.
Mal schauen wie lang der Tunnel noch ist.
MfG
agriculus
Hallo,
ich sehe das Licht am Ende des Tunnels erst im Frühjahr 2008 auf uns zu kommen. Die Steigerung der Fleischpreise wie von "JBH" beschrieben wird wohl ausbleiben.
mfg
Bigpig