Extrem unterschiedliche Meldungen über Kartoffelerträge
Folgen von Durchwuchs besorgniserregend
Das Rätsel über den Umfang der diesjährigen deutschen Kartoffelernte wird erst am 26. September beim Branchentreff des Zentralverband der Kartoffelkaufleute (ZVK) in Hannover gelüftet. Erst dann wird das Landwirtschaftsministerium alle Ergebnisse der Ernteberichtserstatter systematisch zusammen getragen haben. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen wir uns mit regional erhobenen Ergebnissen von einzelnen Landwirten und Erzeugergemeinschaften begnügen. Diese „Mosaiksteinchen“ ergeben derzeit aber noch kein deutliches Gesamtbild, wie die Presseerklärungen der letzten Tage zeigen.
Die niedersächsische Landwirtschaftskammer erwartet im größten Kartoffelland Deutschlands rund 1 Mio. Tonnen weniger Kartoffeln als im Vorjahr, das wäre ein Minus von 19 %, so deren Präsident Fritz Steegen am letzten Donnerstag gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk (NDR). Der Generalsekretär des Deutschen Bauerverbands Dr. Helmut Born prognostiziert in einem Focus-Interview ebenfalls ein Fünftel weniger. Das entspricht auch im Groben den Proberodungsergebnissen der Erzeugergemeinschaft Helle Niedersachsen, die in den Landkreisen Uelzen, Dannenberg und Soltau ein Spektrum von Minus 10 bis Minus 30 % auf beregneten Standorten ausgemacht hat. Diese Erhebungen werden in erster Linie bei gut geführten Betrieben seit zwölf Jahren nach gleicher Systematik vorgenommen und haben damit eine hohe Glaubwürdigkeit. Auf unberegneten Standorten wurden allerdings extreme „Ausreißer“ verzeichnet; dort fehlt schon mal die Hälfte gegenüber dem Vorjahr. Im Landkreis Stade, wo die Saatzucht bereits seit mehr als 20 Jahren systematische Proberodungen vornimmt, kommt man heuer nur auf 379 dt/ha, was einem Minus von 27 % zum Vorjahr entspricht.
Damit ist es aber mit die Einigkeit auch schon vorbei, denn diese Erhebungen wurden allesamt bis zum Ende der Hitzeperiode Anfang August abgeschlossen und nun erst der Öffentlichkeit vorgestellt. Da aber viele Kartoffelbestände noch grün sind, konnten sie noch von dem Wetterwechsel profitieren. Sofern es sich um spätreifende Sorten handelt, die nicht zum Durchwuchs neigen, wächst noch eine erhebliche Masse in bester Qualität hinzu. Es gibt bereits vereinzelt Meldungen von bis zu fünf Tonnen höheren Erträgen gegenüber dem gleichen Zeitraum im Vorjahr berichten. Immerhin ein Plus von 10 %!
Trotzdem sind sich die Fachleute nicht einig, was das für den Markt bedeuten wird. Schließlich legen auch die vom Durchwuchs gefährdete Sorten noch kräftig zu. Es wird in diesem Zusammenhang immer wieder gerne die Sorte Bintje angeführt, sie hat aber in Deutschland kaum noch eine Bedeutung. Wir sollten deshalb vielmehr das Augenmerk auf die neueren Züchtungen legen. Fachleute sehen es als „besorgniserregend“ an, dass auch die moderneren Sorten wie Agria und Markies oder auch klassische Speisesorten wie Solara und Princess in erheblichem Umfang nachsetzen. Die Erfahrung bei diesen Sorten zeigt nämlich, dass deren Lagereignung rapide abnimmt, wenn auch nur vereinzelt unreife Knollen mit ins Lager gelangen. So befürchten Fachleute nicht mehr nur eine zu kleine Gesamternte, sondern nun auch noch eine kritische Haltbarkeit bei vielen Partien. Wenn dann auch noch die Mutterknollen der ersten Generation – auch Schießer genannt – vor der Verarbeitung zu Fertigprodukten durch eine Salz- oder Tonlauge absortiert werden, fehlen weitere 10 %. Skeptiker meinen deshalb auch, dass die so absortierten Mengen den aktuellen Zuwachs sogar noch übersteigen können. Diese Erfahrung machen bereits einige Packstationen, die schon mit dem Absatz mittelfrüher Sorten beschäftigt sind. Der Sortierabgang in Form von Drillingen und missgestalteten Knollen geht an die 30 %, womit der letzte Zuwachs weit überkompensiert wird.
Um die Unsicherheit noch weiter zu schüren, habe ich auch noch eine Schätzung der EU-Kommission. Die Eurokraten erwarten nämlich nur 4,3 % weniger Kartoffeln als im Vorjahr. Deren Ermittlungen beruhen auf sogenannte Fernerkundungssysteme aus dem Flugzeug oder dem Satelliten, anhand von Klimadaten und dem Chlorophyllgehalt der Pflanzen werden Hochrechnungen zur Ernteermittlung angestellt. Die Ableitung von diesen sogenannten Landoberflächenparametern steckt aber offensichtlich – zumindest was die Kartoffeln betrifft - noch in den Kinderschuhen und kann wohl mit den herkömmlichen Messmethoden noch nicht ernsthaft mithalten.
Am besten wir halten es wie Platon, der schon in der griechischen Antike vor 2600 Jahren feststellte: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Oder war es Sokrates? - Ich weiß es nicht.
Joachim Tietjen
HANSA Terminhandel GmbH, Farven