Kartoffeln: Folgen von Durchwuchs jetzt messbar
Einkäufer hoffen auf mehr Angebot
Überall in Mitteleuropa zeigen die fortlaufenden Proberodungen nun deutliche Merkmale von Durchwuchs. Nach den zwischenzeitlich mehr als reichlichen Regenfällen steigen die Erträge, aber die Knollengrößen legen nicht mehr zu. Die Energie der Pflanzen geht entweder in neues Kraut oder in neue Knollen. Bezeichnend in dieser Situation ist, dass die Stärkegehalte sinken.
Dadurch sind die Anschlusssorten, die nun von der Kartoffeln verarbeitenden Industrie abgerufen werden, nur bedingt einsetzbar. Agria und Bintje müssen, bevor sie gerodet werden, genauestens auf Backeignung untersucht werden; der meist wolkenverhangene Himmel behindert die nötige Stärkeeinlagerung. Vor einer Woche waren beispielsweise die Unter-Wasser-Gewichte (UWG) bei der Sorte Agria bei 360 Gramm, was für die Pommesproduktion gerade noch ausreicht, heute liegen sie nur noch bei 330 Gramm. Das wird sich dann ändern, wenn die Sonne wieder scheint, doch Wettervorhersagen für die nächsten Tage lassen darauf schließen, dass diese Probleme vorerst anhalten.
Die frühen Konsumsorten sind mittlerweile verbraucht und Anschlusssorten lassen auf sich warten. Obwohl wir unmittelbar vor der Haupternte stehen, kann es aufgrund der geschilderten Problematik zumindest beim Verarbeitungsrohstoff vorübergehenden sogar wieder zu Engpässen kommen. Das hatten sich viele Händler anders vorgestellt. Sie waren zu Beginn der letzten Woche noch sicher, den immer noch sehr teuren freien Verarbeitungsrohstoff bald billiger einkaufen zu können. Landauf, landab hieß es, dass das Angebot bald zunimmt und die Preise fallen werden. Um das zu forcieren, zogen sie zunächst einmal mehr Vertragsware ab, um bei freier Ware Angebotsdruck aufkommen zu lassen. Es kamen im Laufe der Woche aber nur vereinzelt niedrigere Abschlüsse zustande und zuletzt wurden sogar wieder Preise der Vorwoche bestätigt.
Dieses harte Ringen um niedrigere Preise kennen wir auch aus anderen Jahren und die meisten Fachleute sind sich sicher, dass auch in diesem Jahr ein größeres Angebot während der Ernte zu Preisdruck führen wird, aber bekanntlich ist im Kartoffelhandel kein Jahr wie das andere. Aufgrund der spürbar kleiner ausfallenden Gesamternte in Europa wollen viele Händler eigene Vorräte anlegen und warten nur darauf, dass die Hauternte losgeht. Daneben wollen die Supermärkte noch einige Aktionen fahren, die zurzeit aufgrund zu hoher Preise und Qualitätsbedenken noch nicht anlaufen konnten.
Unter einigen Einkäufern der Packstationen kommen mittlerweile Bedenken auf, dass der Pro-Kopf-Verbrauch bei frischen Kartoffeln erneut merklich zurückgeht. Man befürchtet, dass die Verbraucher doch sehr preissensibel sind und vermehrt zu Reis und Nudelgerichten greifen könnten. Ich erachte das Preisargument jedoch noch als unbegründet, denn Frischkartoffelimporte, die wir uns seit mehr als zehn Jahren in großem Umfang gönnen, sind allesamt wesentlich teurer als deutsche Herkünfte. In Holland fordert man derzeit für Speisekartoffeln bis zu 30 Euro/dt, in Frankreich sieht das ähnlich aus. Und für die nächsten Importe aus dem Norden Afrikas fasst man sogar Preise von 50 bis 60 Euro/dt ins Auge - das ist teuer! Dagegen sind die 20 Euro/dt ab Niedersächsischer Versandhandelsstation regelrechte Schnäppchen. Viele Bauern haben sich mittlerweile auch darauf eingeschworen, bis zum Ende der Ernte das derzeitige Preisniveau zu fordern. Danach wollen sie Lageraufschläge bis zu fünf Euro/dt verlangen. Sollten sich die Versandhändler gegenüber dem LEH dennoch auf niedrigere Abgabepreise einlassen, besteht die Gefahr, dass es zu Lasten ihrer Marge gehen.
Der Wettbewerb findet nämlich zwischen der Kartoffeln verarbeitenden Industrie, den großen Packstationen und dem Export statt. Wohin das knappe Erntegut letztendlich fließt, wird sich an Qualität und Preis orientieren. Trotzdem die Eigenversorgung in diesem Jahr nicht sicher ist, exportieren wir Deutsche viele Knollen in holländische und belgische Fabriken. Außerdem sind die Geschäftsbeziehungen vieler Kartoffelhandelsunternehmen nach Osteuropa, dem Baltikum, Italien und dem Balkan gerade erst richtig aufgeblüht. Das große Interesse an den erstmals in Deutschland stattfinden Europäischen Kartoffeltagen Po-tatoEurope 2006 (EKT) am 6. und 7. September in Bockerode bei Hannover, von Besuchern aus diesen Ländern lässt darauf schließen, dass auch in diesem Jahr wiederum viele Exportabschlüsse zustande kommen. Zurzeit sind deutsche Kartoffeln in Europa preiswerter als anderswo. Wieso sollten dann die Preise fallen?
Joachim Tietjen
HANSA Terminhandel GmbH