Kartoffeln: Preissprung in Niedersachsen: Versandhändler fordern drei Euro mehr
Ab Montag kosten vorwiegend festkochende Sorten mindestens 20 €/100 kg. In den letzten Tagen wurden in großem Tempo die restlichen Frühsorten verladen während die Anschlusssorten noch nicht in ausreichender Menge verfügbar sind. Deren Erträge liegen laut einer Schätzung des Deutschen Bauernverbandes bundesweit um ca. 30 % unter dem des Vorjahres. Sollte sich das auch in der systematischen Ernteerfassung bestätigen, ist die Versorgung mit Konsumkartoffeln aus der deutschen Ernte nicht gesichert. Es werden in großem Umfang Importe benötigt.
Bereits in der letzten Vermarktungssaison nahmen die großen Versandhändler Niedersachsens die Preispolitik zugunsten der Kartoffelproduzenten in ihre Hand und solidarisierten sich dadurch mit ihnen. Die Bauern waren trotz auffallend häufig auftretender Rohstoffknappheit bisher nicht in der Lage, die Preisführerschaft zu übernehmen. Der Empfangshandel kann dies schon deshalb wirksam umsetzen, weil ein Großteil der deutschen Kartoffelernte über seine Schreibtische abgewickelt wird. Angesichts dem erneuten Versorgungsengpass bei Kartoffeln greift die Erkenntnis Raum, dass die Landwirte besser an der Wertschöpfung beteiligt werden müssen, damit die Eigenversorgung mit dem Grundnahrungsmittel Kartoffel gesichert bleibt. Schließlich ist die heimische Rohstoffversorgung von Kartoffeln in kontrolliert Qualität die Basis für den Großteil der deutschen Kartoffelbranche.
Das selbstbewusste Auftreten der Versandhändler und die Erfahrungen im Vorjahr lassen darauf schließen, dass die einmal gefällten Preisbeschlüsse auch durchgehalten werden. Die Empfangshändler widersetzen sich deshalb schon gar nicht mehr und reagieren seit Bekanntgabe der aktuellen Preisentscheidung mit Hamsterkäufen. Bauern die ihre Vermarktung selber in die Hand nehmen verkaufen aufgrund fehlender Information noch zu alten Konditionen; das dürfte aber nicht mehr lange andauern.
Angesichts der erwarteten kleinen Ernte ist derzeit keine Konkurrenz unter den Versandregionen zu spüren. In Bayern und in der Pfalz begrüßt man die niedersächsische Preisentscheidung ausdrücklich. Im Süden kosteten die Knollen schon seit Wochen mehr als im Norden. Kritiker beklagten deshalb, dass die jetzige Preiserhöhung längst überfällig war. Mehr noch: die Preisrücknahme am 21. Juli von 20 auf 16,50€/100 kg war eine Fehlentscheidung und hat den Bauern viel Geld gekostet.
Wenn die Bauern nun aus Dankbarkeit zu ihrem Idealpartner auch weiterhin nur abliefern anstatt zu verkaufen, wird sich an dem Strukturproblem in Kartoffel-Deutschland allerdings nicht viel ändern. Sie müssen sich in dem neuen Solidarpakt mit ihren Vertragspartner viel aktiver einbringen und eigene Interessen vertreten. Im kritischen Dialog mit den Vermarktungsprofis dürfte dann schnell deutlich werden, worin sich unsere Schwäche begründet. Wenn wir uns zukünftig auf internationalem Parkett behaupten wollen, müssen wir zum Beispiel in Produktqualität und Vertragstreue noch viel besser werden. Nur wenn uns das gelingt, tragen wir nachhaltig zur eigenen Standortsicherung bei.
Kartoffelpreise entwickeln sich im Grunde genommen nur durch Angebot und Nachfrage und die derzeit laufenden Aktionen sollten deshalb nicht überbewertet werden. In einem knapp versorgten Markt ist es relativ leicht, höhere Preise durchzusetzen. Vielmehr kommt es auf die Gewinnverteilung in der Wertschöpfungskette an. Bekommt der Landwirt für ein gutes Produkt seinen angemessenen Anteil, wird er auch zukünftig bedarfsgerecht produzieren. Preisschwankungsrisiken können die Vertragpartner zudem viel besser durch intelligente Vertragsgestaltung mindern.
Zum Thema Vertragstreue gab es übrigens in der zurückliegenden Woche eine Posse aus Bayern. Dort fand ein „Krisengespräch“ zur Lage am Kartoffelmarkt statt. Mit der Unterstützung des Deutschen Bauernverbands sowie dem bayerischen Landwirtschaftsministerium verlangten Kartoffelbauern von ihren Vertragspartnern aus ihren Lieferverträgen entlassen zu werden. Grund: höhere Gewalt aufgrund von Trockenheit und Hitze. Die Käufer können aber darauf verweisen, dass in den Verträgen explizit diese Risiken benannt sind und Lieferverpflichtungen deshalb weiterhin bestehen. Zu einer Einigung kam es bisher nicht und ich kann nicht sagen, wie die Diskussion ausgeht, aber bevor sie einen Vertrag unterzeichnen, sollten auch die Bauern ihn lesen. Als Folge zeichnet sich jedoch schon jetzt ab, dass in der nächsten Saison kaum noch derartigen Verträge unterzeichnet werden.
Joachim Tietjen
HANSA Terminhandel GmbH, Farven