Kartoffeln: Zwischen Hoffen und Bangen
In vielen Regionen Mitteleuropas ist seit dem Monatswechsel genügend Regen gefallen und auch die Temperaturen haben sich wieder derart normalisiert, dass Kartoffelbestände die den Hitzestress im Juli überlebten, nun endlich wieder wachsen. Vier Wochen lang stockte das Wachstum und der Rückstand wurde so groß, dass nun niemand mehr ernsthaft mit einer ausreichenden Marktversorgung rechnet.
Viele Bauern hoffen darauf, dass ihre Bestände doch noch zulegen um dann von den erwarteten hohen Preisen auch zu profitieren. Bei den meisten Sorten wächst allerdings eine zweite Generation heran, die das Wachstum der ersten Knollen definitiv beendet und ihnen Stärke entzieht. Im Juli hatten sich die Dämme derart stark aufgeheizt, dass nahezu bei allen jungen Kartoffeln nahe der Erdoberfläche die Keimruhe brach. Lässt man die Bestände nun weiter wachsen, sind viele der nun fast erntereifen Knollen kaum noch zu gebrauchen, weil sie bald glasig werden. Andererseits ist die Chance, hieraus noch eine zweite Generation zu ernten mit hohen Risiken verbunden, denn der neue Ansatz bräuchte mindestens bis Ende Oktober optimale Bedingungen, um akzeptables Material hervorzubringen. Dann werden die Tage aber schon kurz sein und die Bergung der Ernte wegen niedriger Temperaturen und möglicher nässebedingter Rodebehinderungen äußerst riskant. Gibt es zwischendurch irgendwelche Probleme, erntet man nur kleine Kaliber in schlechter Qualität.
Die meisten qualitätsbewussten Bauern, werden sich deshalb schon in den nächsten Tagen zu ertragsmindernden reifefördernden Maßnahmen durchringen. Die KTBL im niedersächsischen Münster hatte bereits Ende Juli einen Merkzettel verteilt, was angesichts der Ausnahmesituation bei der Krautminderung zu beachten sei. Die Spezialberatung und die Züchter bieten ebenfalls Entscheidungshilfen. Meist sind die richtige Maßnahmen nämlich eine Sortenfrage. So ist die Sorte Bintje bekanntlich äußerst anfällig auf Durchwuchs. In Belgien, einer Hochburg der europäischen Frittenindustrie, werden immerhin 60% aller Kartoffelflächen mit dieser Sorte bestellt. Von dort kamen zu Beginn der Woche alarmierende Meldungen: die ersten von der Fiwap, dem Wallonischen Kartoffelverband durchgeführten Proberodungen, zeigen aktuell ein Ertragsspektrum, das unter 50 % gegenüber dem des Vorjahres liegt.
Das mag auch dazu geführt haben, dass sich die großen Verarbeiter zwischenzeitlich nach Alternativen umsehen und insbesondere in Deutschland fündig werden. In der Region um Burgdorf bei Hannover waren während der Hitzeperiode weniger Speisekartoffeln verladen worden. Der Konsum von Frischkartoffeln war während der Juli-Hitze und außerdem ferienbedingt derart stark zurückgegangen, dass es zwischenzeitlich zum Vermarktungsrückstand kam.
Die Erzeugerpreise gingen dort deshalb bis auf 16,5 €/dt zurück, während gleichzeitig aber die Nachfrage der Frittenindustrie anstieg. Ein Phänomen, dass wir im Hochsommer häufig haben: dann verkaufen sich die Fritten wie von selbst und auf warme Gerichte wird eher verzichtet. Anders als in früheren Jahren wuchs der Frittenrohstoff aber nicht in entsprechender Menge nach, sodass (nicht nur) in Belgien die Erzeugerpreise bis zuletzt sogar über 20 €/dt notierten. Um nun den Vertragslieferanten noch ein wenig Zeit zu geben und auch Verträge für später zu schonen, entschlossen sich immer mehr Verarbeiter, zwischenzeitlich in Burgdorf Speisekartoffeln einzukaufen. Allein in der zurückliegenden Woche sollen mehr als 10.000 Tonnen Speisekartoffeln von dort in die Friteusen der Verarbeiter gelangt sein. Aus dem Vermarktungsrückstand wird nun binnen weniger Tagen ein Vorsprung, sodass auch Niedersachsens Kartoffelbauern bald die Preise einfordern können, die anderenorts bereits bezahlt werden.
Da bekanntlich hohe Preise Ware anziehen, ist nun damit zu rechnen, dass sich viele Produzenten für die schnelle Räumung ihrer Flächen entscheiden. Vom Acker weg, ohne Zwischenlagerung, Gewichtsverlust, Qualitätsrisiko für 16 oder mehr Euro pro 100 kg, daran kann ich mich nicht erinnern. Klar, es werden auch noch Kartoffeln eingelagert, aber die Scheunen werden in diesem Jahr nicht voll. Angesichts der derzeit hohen Ausgangspreise muss die Kalkulation der Haltekosten ebenfalls hoch ausfallen. Ob die Käufer diese Forderungen akzeptieren bleibt ungewiss. Die wahrscheinliche Antwort ist einfach: wenn die Qualität stimmt, macht der Verbraucher mit. Und so sollten sich die Produzenten für Qualität und gegen Masse mit Risiko entscheiden. Der Verbraucher sollte es ihnen danken.
Joachim Tietjen
HANSA Terminhandel GmbH