° Hans Eichel: Ist der Ruf erst ruiniert ... ?
„Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ...“ – Eichel und der Stabilitätspakt – Erinnerungen an einen Innenminister namens Höcherl, der „nicht immer mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen“ wollte
(24.11.2003) Die Märkte kümmern sich bemerkenswert wenig um das an diesem Montag stattfindende Treffen der Finanzminister der Europäischen Union. Mit diesem Desinteresse oder dieser Gelassenheit wollen sie wohl ausdrücken, dass es in diesen Tagen für sie Wichtigeres gibt oder dass sie an einen Kompromiss in dem Streit über die Folgen der Defizit-Sünden glauben.
Bei dieser Auseinandersetzung geht es um die Frage, wie mit den Defizit-Sündern Deutschland und Frankreich umgegangen werden soll. Beide Länder können bereits als notorische Überzieher der Marke von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angesehen werden, um die das Haushaltsdefizit eines Landes der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU, landläufig nur als EWU bezeichnet) nicht überschritten werden darf, ohne dass Sanktionen zumindest drohen.
Frankreich ist bei seinem Sündenfall gegen diese Regel des als Stabilitätspakt geltenden Abkommens besonders unverfroren vorgegangen. Deutschland, vertreten durch die rot-grüne Koalition, hat wenigstens noch Skrupel gezeigt, doch das war auch dringend erforderlich, denn die Deutschen haben das Regelwerk maßgeblich bestimmt.
Hier geht es nicht um irgendein politisches (sprich: belang- oder folgenloses) Tauziehen zwischen der Europäischen Kommission und einigen kleinen Ländern, die ein radikales Vorgehen gegen die Sünder fordern, einerseits und den Sündern andererseits. Hier geht es um wesentlich mehr, wenn nicht um alles.
Ohne Regeln läuft nichts. Schon gar nicht, wenn sich gut zwei Hände voll Länder zusammengefunden haben, um zu einem stabiles Wachstum und geringe Inflation verheißenden Wirtschafts- und Währungsverbund zusammenzuschmelzen. Und es geht auch nicht ohne Strafen für den Fall, dass die Regeln gebrochen werden.
Die Verantwortlichen versuchen sich mit widrigen Umständen herauszureden, darunter eine drei Jahre lange Konjunkturflaute und entsprechend geringe Steuereinnahmen beziehungsweise höhere staatliche Aufwendungen für Soziales. „Wie soll man da die Regeln einhalten?“, fragt Finanzminister Eichel. Sein französischer Kollege befasst sich schon gar nicht erst mit solchen windigen Erklärungen, sondern lässt unverfroren wissen: „Das ist halt so.“
Bescheidene Gegenfrage: Wie haben es die meisten anderen Länder der EWU geschafft, die Hürde nicht zu reißen? Einfache Antwort: Sie haben die Regeln beachtet und gut gewirtschaftet.
Bei den notorisch gewordenen Verstößen gegen den Stabilitätspakt geht es um sehr viel, darunter auch um das Ansehen des Euro. Die Verstöße sind keine Kavaliersdelikte, denn sie höhlen aus, was faktisch als das Grundgesetz oder als die Verfassung der EWWU anzusehen ist.
Betrachtet man Eichel, seine fiskalische Insuffizienz und seine Äußerungen, so fühlt man sich an einen inzwischen nicht mehr unter uns weilenden Innenminister der Bundesrepublik Deutschland erinnert. Es war der pfiffige Jurist Hermann Höcherl, der in einer verfassungsrechtlich sehr bedenklichen Situation äußerte, er könne nicht immer mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen. Das kostete ihn in der Folge sein Amt.
Was Eichel wissen lässt, ist, bezogen auf den Stabilitätspakt, genau das Gleiche. Auch gegen ihn müsste eine Regel von verfassungsrechtlicher Qualität gelten: Wehret den Anfängen!
(Quelle: Arnd Hildebrandt, Taurosweb)
Die Gelassenheit der Märkte ist meines Erachtens nur oberflächlich. Tatsache ist doch, dass es im Moment an Alternativen mangelt.
Das Defizit der USA lädt ja auch nicht gerade dazu ein, verstärkt in den Dollar zu investieren. Ansonsten wäre die Reaktion des Marktes sicherlich stärker ausgefallen.