EZB-Leitzins bis Mitte 2002 auf 2,5 Prozent ? / 500 % Gewinnchance
An den Terminbörsen ist die Diskussion über die Entwicklung der Zinsen in den führenden Industrieländern neu entfacht worden. Anlaß sind die zum Teil als desolat bezeichneten Konjunkturzahlen aus einzelnen Regionen der Welt. Im Vordergrund stehen die amerikanischen Daten, aber auch die europäischen waren zuletzt alles andere als ermutigend, ganz zu schweigen von den japanischen.
Die am Dienstag und Donnerstag seitens der Notenbank in Washington, der Bank of England und der Europäischen Zentralbank (EZB) verkündeten Zinssenkungen um jeweils 0,5 Prozentpunkte sind das Spiegelbild der Konjunkturzahlen. Nach herrschender Ansicht wird sich an der Front der Leitzinsen bis ins nächste Jahr hinein noch einiges bewegen.
Dies bedeutet, daß all jene, die aus kommerziellen oder spekulativen Gründen auf steigende Kurse an den Terminmärkten für Zinstitel setzen, eine reiche Ernte einfahren. Häufig wird garnicht erst bedacht, daß die Senkung eines Leitzinses zum Beispiel von 4 Prozent auf 3,5 Prozent, also um 0,5 Prozent oder 50 Basispunkte, einen Rückgang um 1/8 oder 12,5 Prozent bedeutet.
In Kategorien des Termingeschäfts gerechnet, bei dem die Einschüsse von etwa 10 Prozent auf den gesamten Kontraktwert die Regel sind, würde eine derartige Senkung theoretisch einen Gewinn von 125 Prozent ausmachen. Und wenn die Prognosen zutreffen, nach denen der amerikanische Leitzins von derzeit 2 Prozent letztlich um weitere 50 Prozent auf 1 Prozent sinken wird, wie es zum Beispiel Credit Suisse First Boston vermutet, wären bei Kaufpostionen am Terminmarkt rechnerisch noch einmal 500 Prozent zu erzielen.
Federal Funds (Tagesgeld) mit einer Laufzeit von 30 Tagen werden am Chicago Board of Trade auf Termin gehandelt. Für andere Zins- und Währungsgebiete kommen staatliche Schuldwechsel mit kürzesten Laufzeiten, die fast Bargeldcharakter haben, am nahesten an die Leitzinsen der jeweiligen Notenbanken heran.
Vieles deutet darauf hin, daß an den Terminmärkten für Zinstitel die Musik noch längere Zeit zugunsten der Haussiers spielen wird. Für den Euro-Raum erklärt zum Beispiel Jörg Krämer, der Chefvolkswirt von Invesco Frankfurt, es wäre nicht überzogen, für den Sommer 2002 einen Leitzins der EZB von 2 Prozent vorauszusagen. Krämer bezieht sich vor allem auf den Ifo-Geschäftsklimaindex, der anzeige, daß Deutschland vor einer Rezession stehe, und dessen prognostischer Aussagewert auf Sicht von vier Monaten unerreicht sei.
Auch die Deutsche Bank Research erwartet eine ganze Serie weiterer Zinssenkungen seitens der EZB. Bis zum Ende des 2. Quartals 2002 könne der Leitzins auf 2,5 Prozent zurückgenommen werden, weil die Inflation nachhaltig falle und die Wirtschaft tendenziell weiter schrumpfen werde.
Wenn das Umfeld wirtschaftlich und politisch so bleibt, spricht eigentlich nichts dagegen.
Aber: Die letzten Zinssenkungen werden sich auf die Konjunktur mit einer Zeitverzögerung von cirka 6 Monaten auswirken.
Deswegen ist es etwas unheimlich, wenn man die Geschwindigkeit und Höhe der Zinsschritte beobachtet.
Wenn die Zinsen dann mit diesem Tempo wieder nach oben angepasst werden müssen(nämlich wenn man feststellt, daß die Konjunktur wieder anspringt und das Thema Inflation doch irgendwann wieder eine Rolle spielen wird), kann es sein, daß die Notenbanken in einer echten Zwickmühle sein werden.
Man sollte beachten, daß zu "normalen Zeiten" diese Zinsschritte ein Megahausse an den Aktien- und Rentenmärkten verursacht hätten.
Wir befinden uns allerdings in einem, ja man kann sagen, Ausnahmezustand. Wie sich Kriege bzw. Konflikte in einem Umfang wie dem Afghanistan-Problem auf die Weltkonjunktur und auf die Zinsen allegemein auswirken, kann man nur im rückblickenden Vergleich sehen. Und da bleibt nur als zeitlich nächster Krieg in diesem Unfang, der Blick auf den Vietnam-Krieg.
Meiner Meinung nach wird die EZB alles versuchen, nicht so dazustehen, als ob sie jeden Schritt der Fed nachvollzieht. Die letzte EZB-Zinssenkung war demnach laut Herrn Duisenberg nicht mit der Fed abgesprochen, sondern fiel zufällig auf diesen Termin.
Zur Zeit haben wir eine negative Verzinsung in den USA (bei einer US-Inflationsrate von 2,6 %). In Europa ist sie noch positiv.
Zeiten, in denen man an der Börse "nach Lehrbuch" Geldverdienen konnte scheinen vorbei zu sein.
Viele Grüsse
Ihr
Franjo