Firmensanierungen: Haben Gläubiger bessere Karten als Aktionäre ?
Prof. Peter Forstmoser zum Thema Werthaltigkeit in der Liberierung von Aktien angeschlagener Unternehmen - «Die Gläubiger kommen in den ‹driver seat›»
Am kommenden Dienstag, 6. Mai, findet zuerst die Versammlung der Aktionäre, danach die Versammlung der Gläubiger der Von Roll statt. Dabei geht es um nichts weniger als die Sanierung der angeschlagenen Industriegruppe. Eine zentrale Bedeutung kommt den Obligationären zu, von denen zwei Drittel des Nominalwertes der Anleihe (100 Mio. Fr. minus der 8,99 Mio. Fr., die im Rahmen des öffentlichen Rückkaufangebots angedient wurden; zwei Drittel entsprechen rund 61 Mio. Fr. nominal) dem von der Gesellschaft und den Banken ausgearbeiteten Sanierungskonzept zustimmen müssen.
Einige Obligationäre fühlen sich benachteiligt und kritisieren unter anderem, dass sie in die Sanierung miteinbezogen werden, obwohl die Gesellschaft nach der Kapitalherabsetzung ein positives Eigenkapital aufweist und nicht überschuldet ist. Zudem wird darauf hingewiesen, dass eine Liberierung von neu ausgegeben Aktien mit nicht werthaltigen Obligationen rechtlich sehr fragwürdig sei. Wir unterhielten uns zu diesem Aspekt mit Prof. Peter Forstmoser, der die Frage der Werthaltigkeit bei einer Aktienliberierung aus der grundsätzlichen Warte zu beantworten versuchte. Forstmoser ist in die Sanierung der Von Roll nicht involviert, ist allerdings in der gleichen Anwaltskanzlei tätig wie Peter R. Isler, der in den Verhandlungen mit Von Roll die Gläubigerbanken vertrat.
—— Herr Forstmoser, warum sollen am 6. Mai die Obligationäre der Bilanzsanierung der Von Roll Holding zustimmen?
Ich bin der Ansicht, dass es für die bisherigen Gläubiger einer Gesellschaft in der Regel besser ist, wenn ein Unternehmen saniert werden kann, als wenn es in Konkurs geschickt und danach liquidiert wird.
—— Fährt der Obligationär besser, wenn Von Roll saniert wird oder wenn das Unternehmen in Konkurs geht? Die Aktionäre würden in diesem Fall alles verlieren, die Obligationäre dagegen bekämen immerhin eine Konkursdividende.
Das stimmt schon. Nur: Mit der Konkursanmeldung erfolgt ein Wechsel von Fortführungs- zu Liquidationswerten. Mit diesem Vorgang werden Werte vernichtet. In allen Fällen, in denen ich involviert war, profitierte der Gläubiger davon, wenn ein sanierungsbedürftiges Unternehmen nicht liquidiert, sondern saniert und fortgeführt wurde. Im Normalfall können mit der Fortführung eines Unternehmens Werte gerettet werden, die im Falle einer Liquidation verloren gingen.
—— Von Roll hat den Obligationären ein Rückkaufangebot zu 15% unterbreitet. Am Sekundärmarkt werden die Titel aber zu 20% gehandelt. Weshalb sollen die Anleger auf die Offerte eingehen?
Wenn der Obligationär nicht mehr an das Unternehmen glaubt, wird er seine Bonds am Sekundärmarkt verkaufen, sofern der Kurs dort höher ist als das Rückkaufangebot von Von Roll. Jedoch ist der Markt in diesen Titeln wohl äusserst eng.
—— Im Inserat der Von Roll kommt klar zum Ausdruck, dass es von den Obligationären abhängt, ob die Bilanzsanierung gelingt oder nicht. Sie werden in eine Rolle gedrängt, die sie gar nie wollten – sonst hätten sie ja Aktien kaufen können. Geschieht den Obligationären nicht Unrecht?
In diesem Punkt sehen wir tatsächlich eine neue Entwicklung in der Schweiz. Die alte Weisheit, wonach Bonds sicher sind und sich mit Bonds gut schlafen lässt, gilt leider selbst bei als erstklassig geltenden Unternehmen nicht mehr immer. Das zeigte sich in den letzten drei Jahren. Swissair bot den bisher klarsten Beweis dafür, dass sich etwas verändert hat und selbst ein einstiger Blue chip im Obligationenbereich nicht mehr absolute Sicherheit bietet. Es ist leider so, dass Gläubiger in Handlungszwang geraten, wenn die Gesellschaft überschuldet ist. Dann müssen sie die Entscheidungen treffen.
—— Vom Naturell her hat der Obligationär aber eine passive Rolle. Und jetzt muss er den entscheidenden Part übernehmen. Ist das nicht paradox?
Das kann man so sehen. Andere Gläubiger, wie zum Beispiel Banken, sind natürlich besser informiert und geniessen grösseren Einfluss. Sie können bestimmte Vorgaben machen. Eine andere Tatsache ist aber auch, dass die Gesellschaft im Falle einer Überschuldung wirtschaftlich den Gläubigern gehört. Weil die Aktionäre bereits alles verloren haben, ist es richtig, dass die Gläubiger entscheiden. Sie kommen dadurch, ob sie das wollen oder nicht, und ob es das Gesetz so geplant hat oder nicht, in den ‹driver seat›.
—— Was ist, wenn Obligationäre an der Gläubigerversammlung leer einlegen?
Für einen positiven Beschluss braucht es zwei Drittel des in Umlauf befindlichen Kapitals. Wenn mehr als ein Drittel Nein stimmen oder sicher Stimme enthalten , ist dere Antrag abgelehnt, womit sich Stimmenthaltungen gleich auswirken wie Nein-Stimmen. Ich formuliere das jeweils so: Eine Enthaltung ist die höfliche Art des Nein-Sagens!
—— Ein weiteres Thema ist das rechtliche Risiko in der Liberierung von Aktienkapital bei Verrechnung von nicht werthaltigen Forderungen.
Es bestehen drei Möglichkeiten der Liberierung von Aktien: Bar einzahlen, Sachwerte einbringen oder Verrechnung mit Forderungen gegen die Gesellschaft. Liberierung durch Verrechnung ist weder eine Bar- oder eine Sacheinlage. Das geht schon aus dem Gesetz hervor. Die Bar- und die Sacheinlage verändern die Aktivseite, die Verrechnung dagegen die Passivseite der Bilanz. Es werden Schulden in Eigenkapital umgewandelt, das heisst, es fällt der Nominalbetrag der umgewandelten Schulden weg. Die zentrale Frage in diesem Vorgang ist: Wird dadurch jemand geschädigt, wird jemand ungerechtfertigt bevorteilt oder benachteiligt?
—— Und, wie lautet Ihre Antwort?
Wenn einzelne Gläubiger in die Rolle des Aktionärs wechseln und dadurch quasi einen ‹zweimaligen Rangrücktritt› in Kauf nehmen, werden die übrigen Gläubiger besser gestellt. Die Unternehmenssubstanz verteilt sich nach dieser Transaktion auf weniger Gläubiger. Die bisherigen Aktionäre sind ebenfalls besser gestellt, vorausgesetzt, dass die Gesellschaft nicht überschuldet bleibt, sondern fortgeführt werden kann und überlebt. Auch die Gesellschaft profitiert, sofern keine Überschuldung mehr vorliegt. In diesem Fall entspricht der ganze Nominalwert der umgewandelten Schulden aus Sicht der übrigen Gläubiger wie auch der Gesellschaft dem Liberierungsbetrag. Die Verrechnung hat somit den gleichen Effekt wie eine Bareinlage, die ja eine Schuldenrückzahlung ermöglichen würde.
Mein Fazit ist: Keine Partei wird durch die Variante ‹Liberierung durch Verrechnung von Schulden› schlechter gestellt. Volkswirtschaftlich betrachtet ist sodann wichtig, dass wir die uns zur Verfügung stehenden Sanierungsmöglichkeiten – und die Verrechnungsliberierung gehört dazu – unbedingt erhalten sollten, da die Schweiz, anders als die USA mit ihrem Chapter 11, nicht über ein optimales Instrumentarium verfügt, um angeschlagene Unternehmen wieder flott zu bringen.
—— Muss ein Unternehmen nicht alle Gläubiger gleich behandeln?
Nein. Sofern das Unternehmen nicht im Konkurs ist, können einzelne Gläubiger rechtlich besser behandelt werden. Es kann zum Beispiel einer Bank oder einem Lieferanten eine Garantie geben. Im Falle drohender Überschulddung ist es freilich anders. Da dürfen nicht einzelne Gläubiger besser gestellt werden, wenn sich das nicht durch ihre Leistungen rechtfertigt.
—— Welches sind die Konsequenzen, wenn der Obligationär an der Gläubigerversammlung vom 6. Mai zustimmt?
Die Frage ist doch die, ob ein Obligationär letztlich besser fährt, wenn er künftig Aktionär in einem Unternehmen ist, das überlebt. Ist er der Meinung, dass die Gesellschaft dank der Bilanzsanierung überlebt und sich auffangen kann, sollte er seine Anleihen wandeln.
Interview: Peter Schuppli und Guido Meier
(Quelle: Finanz und Wirtschaft, 30. April 2003)
Hallo,
dem letzten Interviewabsatz ist wohl zuzustimmen.
Ich habe allerdings im ferneren Ausland miterlebt, daß bei drohender Pleite in Kapital umgewandelte DM-Forderungen aus sehr großen Investitionsgüter-lieferungen im Laufe der Jahre einen drastischen Währungsverlust erlitten, weil sie bei der Wandlung zusätzlich in Landeswährung umgestellt wurden. Im Ergebnis war dann das Stillhalten/Umwandeln die schwächere Lösung.
Das ist aber bei Von Roll nicht die Ausgangslage.
Gruß
U. Norden