Hans Eichel vor dem Offenbarungseid / Rücktrittsforderung
Haushaltsdefizit - Angela Merkel: Eichel muß zurücktreten
10. Mai 2003 CDU-Chefin Angela Merkel fordert in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung den Rücktritt von Bundesfinanzminister Hans Eichel. Der hatte zuvor ein Scheitern seiner Haushaltspolitik eingeräumt.
Eichel erklärte, es werde nicht gelingen, im Jahr 2006 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Zudem räumte er ein, auch in diesem Jahr die europäisch vereinbarte Obergrenze für die Neuverschuldung zu überschreiten und einen Nachtragshaushalt aufstellen zu müssen. Das Finanzministerium wies einen Bericht über eine angebliche Rücktrittsdrohung des Ministers zurück.
„2006 ist nicht mehr zu schaffen. Es sei denn, es geschieht ein ökonomisches Wunder", sagte Eichel in einem am Samstag veröffentlichten Interview des Magazins „Der Spiegel". Außerdem werde es in diesem Jahr erneut nicht gelingen, die europäische Defizit-Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts einzuhalten. Nach der Steuerschätzung Mitte kommender Woche werde er einen Nachtragshaushalt vorlegen und die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erklären. Eichel verband seine Aussagen mit massiver Kritik an der von der Koalition beschlossenen Erhöhung der Tabaksteuer.
Auch Schröder räumt Scheitern ein
Auch nach Ansicht von Bundeskanzler Gerhard Schröder ist ein ausgeglichener Bundeshaushalt im Jahr 2006 nicht mehr erreichbar. „Für ein Budget 2006 ohne Neuverschuldung bräuchten wir Wachstumsraten, die ich nicht erwarten kann“, sagte Schröder dem Berliner „Tagesspiegel am Sonntag“. Er sei im übrigen weder bereit, die Staatsausgaben weiter zu kürzen, noch die geplante Steuerreform aufzugeben, um dieses Ziel zu erreichen.
Angela Merkel sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Eichel stehe vor einem Scherbenhaufen, sei ausgebrannt und konzeptionslos. Er müsse den Weg freimachen für einen Neuanfang. Ähnlich äußerte sich die FDP.
10 Milliarden Euro Mehrkosten
Die Neuverschuldung werde in diesem Jahr deutlich über den bisher eingeplanten 18,9 Milliarden Euro liegen, sagte Eichel. Auch werde die Summe der neuen Schulden die der Investitionen übersteigen: „Wir müssen also wie im vergangenen Jahr schon die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellen und einen Nachtragshaushalt einbringen.“
Auf der Ausgabenseite falle vor allem die hohe Arbeitslosigkeit ins Gewicht. Hier werde der Bund zusätzlich rund zehn Milliarden Euro ausgeben müssen. Davon etwa sieben Milliarden Euro für die Bundesanstalt für Arbeit und drei Milliarden Euro für die Arbeitslosenhilfe. Auch auf der Einnahmenseite drohen nach den Worten des Ministers Milliardenlöcher. „Ich will den Experten nicht vorgreifen. Fest steht nur, daß es wegen der schlechten Konjunktur in der Tat um Milliardenausfälle gehen wird", sagte der Minister.
In den vergangenen Tagen waren Steuerausfälle für den Gesamtstaat von acht bis zwölf Milliarden Euro von Experten als realistisch bezeichnet worden. Am kommenden Donnerstag will Eichel das Ergebnis der Steuerschätzung bekannt geben. Nach einem Bericht der „Berliner Zeitung“ drohen Bund, Ländern und Gemeinden bis 2006 Steuerausfälle von insgesamt mindestens 50 Milliarden Euro. „Im schlimmsten Fall ist sogar ein dreistelliger Milliardenbetrag möglich", zitierte die Zeitung aus dem Kreis der Steuerschätzer.
Keine Vier vor dem Komma
Eichel bezeichnete Einschätzungen als Spekulation, nach denen das Defizit Deutschlands im laufenden Jahr sogar vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder mehr betrage. „So weit ich das jetzt übersehen kann, wird die Vier vor dem Komma wohl kein Thema sein.“ Ausschließen wollte er eine solche Entwicklung jedoch nicht. In einem internen Papier des Finanzministeriums hatten Experten eine Neuverschuldung von 31 Milliarden Euro und eine Defizitquote von vier Prozent nicht ausgeschlossen.
Ein Sprecher Eichels wies einen Bericht des Magazins „Focus“ zurück, wonach der Minister angesichts der angespannten Kassenlage der öffentlichen Haushalte intern mit seinem Rücktritt gedroht hat. „Das ist definitiv falsch. Der Minister denkt nicht in solchen Kategorien", sagte der Sprecher. Eichel stelle sich der schwierigen Situation, um „die Finanzpolitik trotz sinkenden Wachstums solide zu gestalten". Dem „Focus“ zufolge hatte Eichel im Gespräch mit Kabinettskollegen erklärt, wenn Deutschland auch 2004 die europäische Grenze für die Neuverschuldung überschreite oder die Bundesregierung keinen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen könne, „muß sich der Bundeskanzler einen anderen Finanzminister suchen".
Höhere Tabaksteuer „zweitbeste Lösung“
Eichel kritisierte die vereinbarte Erhöhung der Tabaksteuer um einen Euro pro Zigarettenpackung als „zweitbeste Lösung". Die Probleme der Sozialversicherungen ließen sich nicht dadurch lösen, daß Geld aus dem Haushalt zugeschossen werde. Er habe dem Vorhaben aber zugestimmt, weil die von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) geplante Gesundheitsreform sonst nicht zu Stande gekommen wäre. Nun könne sie einen Teil ihrer Pläne mit Steuergeldern bezahlen. Schmidt sei jetzt allerdings in der Verantwortung, für eine Senkung der Lohnnebenkosten zu sorgen.
Eichel schloß erneut Steuersenkungen aus, die über die bereits im Gesetz verankerten Pläne hinaus gingen. Zuvor hatte es in Berichten geheißen, Eichel habe sich mit einem Vorziehen der für 2005 geplanten Entlastungen auf 2004 angefreundet.
(Quelle: faz-net)