hwj
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Am 11. Januar 2000 konnte endlich der Testbetrieb des Terminmarkt-Forums
gestartet werden. Viel Spass beim Testen ...
Heiko Weber
Geschrieben von hwj
am
Zum Spass hab ich mal die allererste TMW-Seite hervorgeholt; da hat Herr
Ebert aber Glück gehabt, dass kein rundes Jubiläum ansteht.
Freibier für die über 3000 seiner treuen Leser wär ihm teuer zu stehn
gekommen.
Und damit nun keiner meckern kann, er hätte ganz umsonst hierhergeklickt,
gibts zur Adventszeit einen schönen Aufsatz von Rolf Haubl:
Zwar sind die manischen
Gewinnerwartungen der „New Economy“ zur Jahrtausendwende wie eine bunt
schillernde Seifenblase geplatzt und haben seitdem auch nicht wieder die
Schwindel erregende Höhe von damals erreicht. Die Dramen dieser Zeit bleiben
aber weiter lehrreich.
Das Drama, über das ich berichten will, handelt von einem jungen Mann,
dem einzigen Sohn kleinbürgerlicher Eltern. Sein Vater hält sich zugute, ein
Leben lang rechtschaffen gearbeitet und deshalb heute etwas 'auf der hohen
Kante' zu haben, so dass er und seine Frau gelassen ihrem Alter entgegen sehen
können. Seinen Sohn sucht er von Kindheit an auf sein Arbeitsethos zu
verpflichten. Gleichzeitig erwartet er aber auch, sein Sohn solle es weiter
bringen als er selbst, da dieser ja die besseren Startbedingungen vorgefunden
habe. Der Sohn fühlt sich seit der Schulzeit unter einem enormen
Leistungsdruck, die Investition, die sein Vater in seine Ausbildung macht, zu
rechtfertigen.
Der Vater ist der Überzeugung, dass Personen seiner eigenen sozialen
Herkunft, die aber heute ökonomisch besser gestellt sind als er, dies häufig nicht
durch eigene Leistung, sondern durch Begünstigung oder sonst wie, mithin
eigentlich unverdient geschafft haben. Den Neid, der dieser Überzeugung
entspricht, erlebt er jedoch nicht bewusst, weil er ihn kompensieren kann: Da er
sich selbst alles, was aus ihm geworden sei, sogar gegen Widerstand habe
erkämpfen müssen, fühlt er sich den vermeintlichen Günstlingen gegenüber
moralisch überlegen. Dass sein Sohn BWL studiert, findet seine Zustimmung.
Schon bald ist der Sohn von allem fasziniert, was mit Börse zu tun hat. Er
schließt sich einer Studierendengruppe an, die zu Übungszwecken
Börsengeschäfte simuliert, d.h. mit echten Aktienkursen, wenn auch ohne echtes
Geld, auf Anlagengewinne spekuliert. Da er bei dieser Simulation einigen Erfolg
hat, wird sein Wunsch immer drängender, sein Können unter Ernstbedingungen
unter Beweis zu stellen.
Der junge Mann träumt vom schnellen Geld. Seine Traumwelt sind die
großen Börsen dieser Welt mit ihrer fiebrigen Atmosphäre. Besonders
faszinieren ihn legendäre Berichte von riesigen Verlusten, die kurz darauf von
noch riesigeren Gewinnen wieder wettgemacht werden. Er liest sie als
Versicherung, dass Verluste nie endgültig, sondern immer nur vorübergehend
sein werden.
Aus seiner Identifikation mit den Helden der Börse heraus verachtet er
seinen Vater für dessen kleinbürgerlichen Stolz auf ein rechtschaffenes
Arbeitsleben. So macht er sich über dessen Vorsicht lustig, sein Erspartes
lediglich in Bundeschatzbriefen anzulegen. Dagegen entwirft der Sohn das
visionäre Bild zwar riskanter, aber ab einer bestimmten Geldsumme sicher
kalkulierbarer Börsengeschäfte, die seinen Vater auf einen Schlag mehr Geld
verdienen lassen würden, als er in seinem bisherigen Leben zusammengespart
habe.
Es dauert einige Monate, dann hält der Vater diesem Druck seines Sohnes
nicht länger stand; er lässt sich von dessen Faszination anstecken und stellt ihm
60.000 EURO, den größten Teil der familiären Ersparnisse, zur Verfügung, um sie
an der Börse zu vervielfachen. Statt dessen ist das Geld in kürzester Zeit
durchgebracht, die väterliche Lebensleistung vernichtet. Den Sohn befällt
panische Angst, dies seinem Vater sagen zu müssen, weshalb er ständig neue
Geschichten von Reinvestitionen erfindet, um ihn hinzuhalten. Offensichtlich
ahnt dieser die Katastrophe, wagt aber seinerseits nicht, seinen Sohn zur Rede zu
stellen und lässt sich deshalb von ihm auch immer wieder vertrösten.
In der Gruppe zeigt sich, dass der junge Mann keine Schuldgefühle
gegenüber seinem Vater empfindet. Weit gefehlt: Ihm bereite es viel größere
Probleme, dass er versagt habe und sich deswegen schämen müsse; denn warum
er versagt habe, verstehe er nicht. Und so läge er nachts wach und grübele voll
innerer Unruhe darüber nach, wie er wieder zu Geld kommen könne, das den
momentanen Verlust in einen Gewinn verwandele, um den ihn alle beneiden.
Den zeitdiagnostischen Gehalt dieses Falles kann man als
lebensgeschichtliches Zusammenspiel von Neid, Größenphantasien und Casino-
Kapitalismus auf den Begriff bringen: Der erfolgreiche Börsenspekulant, der
schnelles Geld macht, nutzt die Gunst des Augenblicks, um reich zu werden.
Dieser Reichtum ist nicht im tradierten Sinn erarbeitet. So gesehen entspricht die
Identifizierung des Sohnes mit den Helden der Börse einer Identifizierung mit
den vermeintlichen Günstlingen, die sein Vater beneidet, auch wenn er sie
moralisch verachtet. Wenn der Vater in den Deal einwilligt, dann geht er von
seinen Prinzipien ab, die er auch seinem Sohn gepredigt hat. Und zwar deshalb,
weil er selbst, wenn auch uneingestanden, an deren Wert zweifelt: Was hat ihm
– im Vergleich zu den vermeintlichen Günstlingen – sein rechtschaffenes
Arbeitsleben denn eingebracht? Zu wenig! Das Gefühl moralischer
Überlegenheit entschädigt ihn letztlich nicht. So gesehen ist der Sohn ein
Delegierter seines Vaters; unbewusst verfolgt er die Aufgabe, die beschämend
erlebte Benachteiligung seines Vaters wieder gutzumachen: vom Neider zum
Beneideten zu werden.
Verdirbt Geld den Charakter? Die Behauptung, dass es dies tut, ist moralisch
voreingenommen. Keine Frage. Dass Geld, genauer: die Geldkultur einer
Gesellschaft den Sozialcharakter seiner Mitglieder formt, dürfte dagegen
unstrittig sein. Dabei führt die Monetarisierung der Gesellschaft zu einer
Reduzierung aller individuellen Unterschiede auf einen einzigen: Geldbesitzer
zu sein. Da Geld, Wahlfreiheit bedeutet, wissen wir dies einerseits zu schätzen,
da es uns aus ungeliebten persönlichen Abhängigkeiten befreit. Andererseits
beklagen wir eine solche Freisetzung als Verlust an starken Bindungen und
wähnen sie nur dort, wo Geld nicht die Welt regiert.
Mit Geld gewinnt man an Kontrolle über seine Lebensbedingungen, weil es
Wahlfreiheit verschafft. Wer über Geld verfügt, kann wählen, für die
Befriedigung welcher seiner Bedürfnisse er es einsetzt. Diese Freiheit wird hoch
geschätzt. Das lässt sich an folgender Alltagsszene gut veranschaulichen: Sie
werden von einem jungen Mann am Bahnhof um einen Euro angebettelt.
Abgesehen davon, dass auch in diesem Fall seit der Einführung des Euro eine
Verteuerung stattgefunden hat, da sich die Bettelnden früher mit einer Mark
zufrieden gaben, stiften Sie nicht unbedingt Freude, sollten Sie ihm, statt ihm
Geld zu geben, ein belegtes Brötchen kaufen, auch wenn das sehr viel mehr als
einen Euro kostet. Während das Geldgeschenk die Wahlfreiheit des Bettelnden
vergrößert, bewirkt das Brötchen nichts dergleichen. Mehr noch: Der Bettelnde
kann es sogar als Versuch verstehen, ihm seine Wahlfreiheit zu bestreiten. Zum
Beispiel dann, wenn er Grund hat, Ihnen zu unterstellen, Sie würden ihm ein
belegtes Brötchen kaufen, damit er etwas zu essen habe, und sein Geld nicht für
Alkohol oder sonstige Drogen ausgebe. Dadurch wird aus Ihrem Geschenk ein
Erziehungsversuch, der moralisierend in das Leben des Bettelnden eingreift.
Indem Sie ihm ein belegtes Brötchen statt Geld geben, bestreiten Sie seine
Freiheit, zu leben, wie er will. Statt dessen führen Sie mit ihrer Handlung eine
Unterscheidung zwischen legitimen Bedürfnissen und illegitimen Bedürfnissen
ein. Sie zensieren und das ärgert ihn.
Wahlfreiheit – genau das ist die psychosoziale Bedeutung von eigenem
Geld: Wer über eigens Geld verfügt, kann damit machen, was er will, Solange er
etwa als Kind seine Eltern bitten muss, ihm dieses oder jenes zu kaufen, solange
ist er gezwungen, seine Bedürfnisse ihrer Prüfung auszusetzen, das heißt: er ist
von ihrem guten Willen abhängig. Wer über eigenes Geld verfügt, ganz gleich,
woher er es hat, verlässt diese kindliche Position. Denn er kann es für eine
Lebensführung investieren, die anderen nicht gefallen muss. Insofern markiert
eigenes Geld den Status eines Erwachsenen. Wem es fehlt, erleidet einen
beschämenden Statusverlust.
Wer über eigenes Geld verfügt, dem fällt es leicht zu fordern, Menschen sollten
ihren Selbstwert nicht an Geld binden, auch wenn sich die Wertschätzung ihrer
Mitmenschen nur allzu oft danach bemisst. Gerade in monetarisierten
Gesellschaften gibt es einen Kurzschluss von Geldwert und Selbstwert. Geld
kann unbewusst als magisches Mittel fungieren, Wünsche zu erfüllen und
Ängste zu besänftigen, die für den Selbstwert relevant sind. Welche Wünsche
und Ängste den Geldstil eines bestimmten Individuums prägen, hängt von der
Entwicklungsgeschichte dieses Individuums ab.
In einer monetarisierten Gesellschaft kann sich kein Gesellschaftsmitglied
leisten, von Geld nichts zu verstehen. Die Beherrschung dieses Mediums
sozioökonomischer Integration ist eine elementare Kulturtechnik, mindestens
ebenso relevant wie Lesen, Schreiben, Rechnen und die Handhabung des
Computers. Und dennoch enthält ein Großteil der Bevölkerung keine
systematische Unterrichtung, wie Geld erworben, verwaltet und vermehrt wird,
auch wenn sich inzwischen manche Schulen bemühen, das Thema in ihren
Lehrplänen zu verankern. Ihre monetäre Kompetenz erlangen die
Gesellschaftsmitglieder hauptsächlich durch die praktische Teilhabe am
alltäglichen Geldgebrauch. Soziale Räume, in denen sie handlungsentlastet
darüber reflektieren, was sie mit Geld machen und was Geld mit ihnen macht,
fehlen.
Für manche muß es erst zu einer krisenhaften Entwicklung ihrer
finanziellen Verhältnisse kommen, um ihre monetäre Kompetenz
selbstkritisch auf den Prüfstand zu stellen.
(Rolf Haubl)
Der Webmaster Heiko Weber hat das erste Thema eröffnet und den ersten Beitrag geschrieben.
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Wir dürfen uns alle beim Webmaster für seine gute Arbeit bedanken, ohne die das Forum nicht zustande gekommen wäre !