Priester, Analysten und Staubsaugervertreter
Im Mittelalter, als noch der Nebel des Mystischen über allem lag, was nicht erst später wissenschaftlich erklärbar war, galt das Wort des Priesters uneingeschränkt, und seine Versprechen vom ewigen Seelenheil und sein Segen waren so heiß begehrt, dass die mit irdischen Gütern reichlich Gesegneten vor den Beichtstühlen Schlange standen, um sich ihrer zu entledigen.
Schließlich predigte der Priester in einem riesigen Haus aus Stein. Wer, der in Holzhütten lebte, sollte da an seinen Worten zweifeln?
Das Mittelalter sowieso, auch das Zeitalter der absolutistischen Herrscher ist vorbei, und wir rühmen uns der Errungenschaften der Aufklärung. Hat das in unserem Hirn wirklich gewisse Mechanismen, die ausgelöst werden, wenn wir beeindruckt sind, geändert?
Wir lesen Berichte auf Hochglanzpapier, und gerne unterzeichnen wir eine Order, denn die Geschäftsadresse und die Empfehlung belegen, dass der Absender in einem Glaspalast residiert. Wer, der in einem bescheidenen Eigenheim oder gar Mietshaus lebt, soll da schon an der Seriosität zweifeln?
„Never trust a guy in a suit, with a tie“ hörte ich den Vater meines ersten nennenswerten US-Geschäftspartners sagen, als er den Raum betrat, in dem wir verhandelten, und mich, der sich „in Schale“ geworfen hatte, um meiner Geschäftsidee den gebührenden Rahmen zu verleihen, erblickte.
Man mag die Willfährigkeit der US-Amerikaner gegenüber der Außenpolitik ihrer Regierung beurteilen, wie man will, wenn es ums Geld geht, sind die US-Boys kritischer und schneller entschlossen, in jede Richtung. Man kann wohl nur den Deutschen über Jahrzehnte erzählen, es gäbe in Bankhäusern eine „gläserne Mauer“ zwischen Analyse-, Vertrieb- und Eigenhandel-Abteilungen!
Stellen Sie sich vor, bei einer Firmenbesichtigung eines Staubsaugerwerkes würde ihnen der Geschäftsführer erklären, die Abteilungen für technische Entwicklung, für Design und für Vertrieb wüssten voneinander nicht, was der jeweils andere gerade täte. Würden Sie ihn für ein Schlitzohr oder einen Idioten halten, so etwas in seiner Firma zuzulassen? Würden Sie in eine Firma, bei der so wenig Koordination herrscht, investieren?
Also hören wir doch auf damit, die Analysten zu beschimpfen, die lediglich ihren Job machen. Es liegt doch ausschließlich an uns, wenn wir den Lobpreisungen der Werbung und anderen Sprachrohren blindlings und ungefiltert Glauben schenken.
Der Begriff der „kreativen Buchführung“ macht nicht erst seit Enron und EM-TV die Runde, und ein Analyst in der Bank hat doch mit einem Designer wesentlich mehr gemein als mit einem Buchhalter:
Der Vorstand der Bank möchte gerne in neue Geschäftsfelder investieren. Das kann er aber erst, wenn sich die Bank von bisherigen Beteiligungen getrennt hat. Also wird für die bestehenden Beteiligungen, ähnlich wie bei einem Auslaufmodell bei den Staubsaugern, noch ein bischen Facelifting angeordnet. Dann richtet der Analyst eben das Augenmerk des Kleinanlegers auf mögliche künftige Aufträge statt auf den Schuldenberg des betrachteten Unternehmens, dann zeichnet der Analyst in heftigstem Grün die saftigen Zuwachsraten des Weltmarktes. Warum sollte er auch hinzufügen, dass die Bank bereits mit der Gesellschaft klargekommen ist, die das bewertete Unternehmen von diesem Markt verdrängen wird?
Oder kennen Sie einen Staubsaugervertreter, der Ihnen die Vorzüge des Auslaufmodells präsentiert und Ihnen am Ende der Vorführung sagt, „wenn Sie noch ein halbes Jahr warten mit der Anschaffung, bekommen Sie für das gleiche Geld ein leistungsstärkeres Modell“? Das erwartet doch auch keine Hausfrau!
Warum sollte uns gebildeten, intelligenten, welterfahrenen Investoren mehr Schonung widerfahren als der überrumpelten Frau an der Haustür?
Danke DAXOrakler dafür, daß Du das Board mit Weisheit erleuchtest.