WIR, die Schweizer Nebenwährung
Hi,
ich sah heute zufällig die Internetseite der WIR Bank. Für Deutsche sicherlich unbekannt, auch völlig zu Recht. Sicherlich ist auch der WIR, also das WIR-Geld unbekannt.
Die Bank wurde während der Weltwirtschaftkrise gegründet und besteht seit 1936. Sie übt Barterfunktionen zwischen laut Bank 60.000 Kleinunternehmen aus.
Meine eigenen Erfahrungen beschränken sich auf das, was während meiner Berufszeit ein Schweizer Kollege darüber erzählte. Demzufolge zahlt beispielsweise der Zimmermann, der sich vom Holzhandel Ware liefern läßt, einen Teil der Rechnung in WIR. Der Holzhandel muß sehen, daß er die WIR wieder an das Sägewerk loswird, von dem er beispielsweise Bretter kauft, oder dem Autohaus einen größeren Posten andient, wenn er einen neuen Lieferwaren braucht.
Der Schilderung meines damaligen Kollegen nach ist es so, daß keiner die WIR haben will, aber daß sie jeder Kleinunternhmer auf seinem Konto bei der WIR-Bank hat. Der WIR wäre wie Sand im Getriebe, weil es die Verwaltung der Liquidität und der Zahlungen erschwert. Zudem würde der WIR mit einem Abschlag zum SFR bewertet; offiziell sollte allerdings ein WIR einem SFR entsprechen.
Es würde mich interessieren, wie Schweizer Teilnehmer dieses Boards diese Nebenwährung beurteilen. Hat der WIR eine wirtschaftliche Berechtigung und verschafft er den Kleinunternehmen Vorteile, so wie es auf der Internetseite der WIR-Bank zu lesen ist? Oder ist er ein Relikt aus vergangenen Zeiten?
Interessant würde die Sache, wenn der WIR mal abgeschafft werden sollte. Die Bank müßte wohl alle WIR 1:1 gegen SFR einlösen.
Die gleiche Situation wurde in den letzten Monaten während der Argentinienkrise geschafften. Da die Regierung die Konten einfror und damit den Geldkreislauf unterbrach, schafften einige Regionalregierungen eigene Währungen und bezahlten damit mal zuerst ihre Staatsangestellten. So kamen die neuen Währungen unters Volk und wurden akzeptiert, mangels Alternativen.
Sonntagnachmittägliche Grüße
Albert
Ich bin zwar kein Schweizer (;-)), aber die Schilderung der WIR Bank hört sich an, als ob es sich hier um ein Überbleibsel der Freiwirtschaftslehre von Silvio Gesell (1862-1930) handelt.
Gesell war deutsch-argentischer Ökonom und Sozialreformer mit abenteuerlicher Biographie. Mittelpunkt seiner ökonomischen Analyse war die "Streikfähigkeit des Geldes", also die Annahme, dass der Geldbesitzer jederzeit die Teilnahme seines Kapitals am Wirtschaftskreislauf verweigern kann und auch will, wenn er die Gewinnmöglichkeiten für zu gering erachtet. Dann zieht er sein Geld aus dem Umlauf zurück und kassiert "nur" Zinsen, was Gesell als "leistungslosen Ertrag" kritisiert, weil gleichzeitig durch die Geldknappheit Konjunkturkrisen und ungerechte Einkommensverteilungen entstehen.
Gesells Antwort darauf war die Einführung von "Freigeld", eines Papiergeldes ohne Golddeckung, welches jährlich einen Teil seines Nennwertes zu verlieren hat. Der damit ausgelöste "Umlaufzwang" hilft nach Gesell Krisen zu verhindern, die Realkapitalbildung zu erhöhen und schliesslich den Zins zu neutralisieren.
Tatsächlich gab es mehrere Versuche, Gesells Freigeldtheorie in die Praxis umzusetzen. 1929 im Zuge der Weltwirtschaftskrise wurde in Erfurt die "Wära"-Tauschbewegung ins Leben gerufen. Die Wära-Hilfswährung sollte einen Ersatz für die deflationäre Reichsmark bilden, mit grossen Anfangserfolgen, bis die Reichsregierung die Wära 1931 per Dekret untersagte (Stichwort "fiat money", Notenmonopol, Entschuldung des Staates).
Es gab weitere Versuche in verschiedenen Staaten (auch in der Schweiz). 1932 verabschiedete der Gemeinderat in Wörgl/Inn ein Nothilfeprogramm, das die Einführung von Freigeld vorsah. Wörgl litt unter Massenarbeitslosigkeit und dramatischer Verschuldung. Das Experiment war sehr erfolgreich, Nachbargemeinden schlossen sich an, bis auch dieser Versuch ausserstaatlicher Wirtschaftung von den misstrauischen Behörden verboten wurde ("Verstoss gegen das Notenbank-Privileg").
Mit freundlichen Grüssen,
Berliner
Hallo Berliner,
wohnhaft in Berlin und Vorname Peter?
@ metatrader
Wohnhaft in Berlin: ja.
Vornahme: nein.
Bedaure.
Gruss,
Berliner
Hallo Schweizer,
Da möchte ich noch gerne eine Frage anhängen.
Was passiert mit der Inflation beim "WIR-Buchgeld" ?
Gruß,
Swingtrader
@ Swingtrader
Soviel ich weiss, soll Inflation und Deflation der Nebenwährung nicht vorkommen, da ein Gleichgewicht von Waren und Geld angestrebt wird. Ich rede jetzt nicht von WIR Geld, sondern von Wära. Wära wurde z.B. gegen Hinterlegung von physischer Ware ausgegeben, so dass besonders Produzenten, wie Landwirte, Handwerker etc. plötzlich in den Besitz einer Währung kamen, die sie wiederum als schwankungsloses Zahlungsmittel weitergeben konnten, was in der Deflationszeit nicht selbstverständlich war.
Was jedoch gewollt war ist der lineare Verlust des Nennwertes, deshalb auch der Begriff "Schwundgeld". Die Scheine verloren linear an Wert, so dass der Geldscheinbesitzer gezwungen war, möglichst schnell das Geld in den Konsumkreislauf zu geben. Also eine Art "immanente Inflation", aber keine klassische, die aufgrund von Angebot und Nachfrage ensteht, sondern eine, die per definitionem linear festgeschrieben ist.
Und hier endet mein Wissen über WIR, die Wära, das Schwundgeld etc.
Beste Grüsse,
Berliner
Hi,
Berliner, Du hast es schon richtig ausgesprochen. Auf der Webseite http://www.wir.ch sind die Gründe für die Gründung des WIR und der Verlauf seit 1934 chronologisch aufgeführt. Auch sind Verweise auf andere Notwährungen da.
Es finde die Story extrem interessant, es ist sozusagen ein Stück Wirtschaftsgeschichte. Ich weiß aber nicht, welche Bedeutung der WIR heute noch hat und würde mich gerne von einem Schweizer aufklären lassen.
Herzliche Grüße
Albert
Hi
Ich habe praktische Erfahrung mit WIR. Meine Frau ist als Zulieferer in der Gastronomie tätig und WIR Mitglied.
Auch in der Schweiz hat das WIR System viele Kritiker. Irgendwann wird jeder Handwerker oder Kleinbetrieb damit konfrontiert. Man nimmt dann irgendwann als Zahlungs statt einen WIR Check entgegen und überlegt sich dann, was man damit nun anfangen könnte. Und hier beginnt schon der grösste Fehler.
Wenn man sich aber zuerst überlegt, welche Produkte man selbst mit WIR einkaufen kann, ist das eine tolle Sache. Meine Frau bezahlt einen Teil der Wohnungsmiete mit WIR, hat also einen kontinuierlichen Abfluss und kann so auch laufend WIR entgegennehmen. Büromaterial, Büromaschinen, Pneus, Drucksachen, selbst für Ferienarrangements setzt sie WIR ein. Je nach Bedarf kann man dann auch mit dem Kunden allenfalls vorübergehend einen höheren Anteil ausmachen. Sie kann zahlreiche Geschäfte abschliessen, an die sie sonst nie herangekommen wäre.
In der Gastronomie gibt es hunderte von Hotels und Restaurants die WIR akzeptieren. Das Mitglied kann selbst bestimmen, welchen Anteil WIR/Bargeld man akzeptieren will. Die meisten nehmen zwischen 30 und 50% bis zu einer Höchstsumme von Fr. 2000.--. Bei grösseren Beträgen, wie bei Bauvorhaben, ist der WIR Anteil Verhandlungssache. Noch bis vor wenigen Monaten war das Bauen mit WIR Krediten besonders günstig, die Zinsen lagen wesentlich unter den normalen Ansätzen der Banken. WIR Kredit sind heute noch günstiger, aber die Differenz nicht mehr so enorm.
Die Palette der Einkaufsmöglichkeiten ist unbegrenzt. Discounter versucht man hingegen vergeblich. Andererseits findet man als Verkäufer, besonders wenn man in einer Sparte tätig ist, wo sich nicht zu viele Anbieter tummeln, anständige Abnehmer. Wer WIR absetzen will, gehört in der Regel nicht zu den Preisdrückern. Wo sonst kann man überhaupt noch nach Preisliste verkaufen ?
Die laufend steigende Bilanzsumme der WIR Bank zeigt, dass dieses von vielen Beobachtern als "alter Zopf" abgetane Zahlungssystem sicher seine Berechtigung hat. Die WIR Bank verzinst auch die Geldeinlagen (nicht WIR) zu einem höheren Zinssatz als die übrigen Geschäftsbanken und wird auch bezüglich Bonität durchaus gut bewertet.
Hans
@ Hans,
@ alle
Ist es nicht aufschlussreich, dass jenes Land, welches sich gegen den Moloch EU bisher erfolgreich verteidigt, ein Maximum an Volksdemokratie will (Appenzell) und auch sonst sich dem Gessler-Hut gegenüber unbeugsam zeigt ;-), auch jenes Land ist, welches jenseits vom Notenbank-Monopol eine Nebenwährung erlaubt?
Das gibt zu denken.
Gruezi,
Berliner
@ Hans,
danke für Deine aufschlußreiche Information.
Ich habe gesehen, daß die WIR-Bank in der Schweiz sieben Zweigstellen hat. Dies, und da die Bank eher im Bereich des Mittelstandes mit niedrigem Ausfallrisiko tätig ist, kann sie bei Krediten mit günstigen Konditionen operieren. Im Vergleich zu einer Bank mit großem Overhead.
Ich bin total vom Hocker, daß der WIR diese Verbreitung und Akzeptanz hat, wobei die Bank wächst und gedeiht. Und ich kann heraushören bzw. stelle mir vor, daß die Mitgliedschaft bei der Bank den Kunden aufwertet und zuverlässig macht.
Du sagtest, daß die Gastronomie die Zulieferer zum Teil mit WIR zahlt. Kann dann der Besucher sein Bier in der Gastwirtschaft auch mit WIR zahlen? Ich dachte es ist Buchgeld?
Herzliche Grüße
Albert
@ Albert
Der Kunde zahlt sein Bier, sein Essen, seine Übernachtung im Hotel oder seine Jeans im Geschäft entweder mit einer speziellen WIR Kreditkarte, wo nebst dem WIR Anteil auch der Anteil Bargeld bei der WIR Bank beim Verkäufer gutgeschrieben und beim Käufer belastet wird. Genau gleich wie bei einer EC Karte, nur dass zweierlei "Geld" verbucht wird. Oder der Gast oder Kunde zahlt mit einem WIR Check und den über den vereinbarten WIR-Anteil fälligen Betrag in bar. Im Geschäftsleben wird der vereinbarte WIR Betrag mit WIR Check bezahlt, dabei haben sich sehr kurzfristige Zahlungsziele eingebürgert. Meist wird sogar schon bei Bestellung ein WIR Check abgegeben und die Begleichung des Restbetrages über den vereinbarten WIR Anteil erfolgt dann mittels normaler Banküberweisung nach erfolgter Lieferung.
Wer als WIR Mitglied aufgenommen werden will, muss ein Aufnahmegesuch stellen und sein Antrag wird im monatlich erscheinenden WIR Heft, wo die Mitglieder auch ihre Angebote inserieren, publiziert. Somit ist auch eine gewisse Seriosität der Mitglieder gegeben. In den vielen Jahren, seit wir mit WIR arbeiten, haben wir noch nie auch nur einen einzigen Franken als Debitorenverlust abschreiben müssen. Die Zahlungsmoral ist sehr gut.
Auch finden jährlich mehrmals in verschiedenen Orten der Schweiz WIR Messen statt, wo die Mitglieder ihre Produkte anpreisen können. An diesen Messen kauft man besonders gerne, ist es doch üblich, dass die Aussteller dann meist den ganzen Warenpreis in WIR akzeptieren, was sonst eher die Ausnahme ist.
So, jetzt hoffe ich, dass ihr bei eurem nächsten Besuch in der Schweiz auch über WIR etwas mitreden könnt.
Hans
hallo,
ich habe heute im Buch "Die 29 Irrtümer rund ums Geld" gelesen, dass der Zugang zum WIR nur Gewerbetreibenden offenstand. Also nicht dem Konsumenten. Was ist bisher nicht wusste.
Grüsse
Marzell
Hi,
mir ist nicht klar, wie das rechtlich funktioniert. Im öffentlich zugänglichen Teil der Seite der WIR-Bank habe ich auch kleine Erklärung gefunden. Kann es jemand erklären?
Geldschulden (z.B. aus den o.g. Verträgen) können nur durch gesetzliche Zahlungsmittel beglichen werden. Das ist der WIR nicht. Was hindert mich als Verkäufer, nach der Begleichung einer Forderung in WIR auf Begleichung in CHF zu klagen? Oder umgekehrt, wenn ich Käufer bin und in WIR bezahlt habe, wieso habe ich keine Verbindlichkeit mehr?
Oder beruht das lediglich darauf, daß "man das halt mit WIR nicht macht"?
Gruß,
Asamat
Hi Asamat,
soweit es unter dem Beitrag Nummer 8 von WO News hervorgeht, beruht die Zahlung mit WiR auf freiwilliger Vereinbarung. Es wird vor dem Kauf oder der Bestellung vereinbart, welcher Anteil mit WiR bezahlt wird.
WiR ist quasi ein Tauschmittel. Genauso gut können sie vereinbaren, mit Muscheln zu zahlen.
Ich habe mitbekommen, dass der WiR eher Sand als Öl im Wirtschaftsgetriebe ist. Triebfeder für den WiR ist, dass manche Betriebe zusätzlichen Umsatz generieren können. Jedoch bei der Hergabe von WiR wieder auf das Wohlwollen der Kunden angewiesen sind.
Es ist offenbar so, dass der WiR im Handel mit einem Abschlag notiert. Er sollte aber zum Franken pari notieren.
Für mich ist diese Währung ein Unikum.
Grüsse
Marzell
In der neuesten Wirtschaftswoche ist ein Artikel darüber. Daraus:
- der WIR ist neben dem Franken gesetzliches Zahlungsmittel in der Schweiz (das klärt [#13]
- rund 62000 Unternehmen benutzen das Geld
- sie zahlen im Schnitt 30% - 40% ihrer Rechnungen damit
- derzeit gibt es WIR im Wert von rund 800 Mio Franken (Kurs 1:1) = knapp 0.5% der Schweizer Geldmenge
- Zahlungsverkehr ist per Konto, Scheck oder mit spezieller WIR-Kreditkarte möglich
- Münzen und Geldscheine gibt es nicht
- um den WIR zu benutzen, braucht man ein (kostenloses) Konto bei der WIR-Bank
- die WIR-Bank ist quasi Zentralbank für den WIR. Sie kann neue WIR erschaffen, ohne dafür Geld woanders beschaffen zu müssen.
Schon witzig irgendwie.
Gruß,
Asamat