° Weizen: Kommt die Wende nach dem Ausverkauf ?
Weizen ist technisch schwer angeschlagen – Ein Ausverkauf könnte die ultimative Wende bescheren
(20.10.2003) Weizen befindet sich in Chikago unter beträchtlichem Druck, der sich durchaus noch verstärken kann. Charttechnisch bedenklich ist der Umstand, dass Ende vergangener Woche eine im September entstandene Lücke (gap) auf den Charts durch eine Erholung gefüllt wurde. Es verbleiben zwar noch zwei später entstandene Lücken, doch kommt ihnen möglicherweise kaum noch Bedeutung zu.
Das aus unserer Sicht größte technische Problem stellen die Netto-Kaufpositionen der spekulativen Fonds dar. Sie sind trotz des rapiden Preisverfalls der vergangenen Wochen zuletzt gestiegen. Da wir den Verwaltern der meisten Fonds keine tieferen und besseren Einblicke in die sehr komplexen fundamentalen Bedingungen des Weizenmarktes zutrauen, vermuten wir, dass sie überwiegend aus saisonalen Gründen netto "long" sind. Tatsächlich sprechen jahreszeitliche Einflüsse noch bis in den Dezember hinein für eine zumindest stabile Tendenz.
Vielleicht haben sich die Fondsmanager ausnahmsweise aber auch einmal die statistische Situation angesehen und endlich erkannt, dass Weizen so knapp ist wie seit etwa dreißig Jahren nicht mehr. Dies mag sie zu dem Schluss bewogen haben, Kaufengagements aufzubauen, und zwar in der Erwartung, zum Ende der amerikanischen Saison 2003/04 (Juni/Mai) hin werde es sehr eng. Mit dieser Annahme bewegen sie sich auf unsere Einschätzung zu.
Doch es fragt sich, ob die Haussiers unter den Fondsverwaltern durchhalten. Sie sitzen bereits auf Verlust-Positionen. Wenn sie die Geduld oder die Nerven verlieren, kann es zum Ausverkauf mit weiteren starken Preiseinbußen kommen. Vielleicht drehen sich die Fonds dann sogar netto auf die Baisse-Seite des Marktes. Darauf setzen die kommerziellen Kräfte. Sie werden massiv kaufen, denn sie wissen, dass Weizen knapp ist und bleibt.
Tatsächlich richtet sich das Interesse der Importeure jetzt spürbar stärker auf Hartweizen aus der amerikanischen Produktion. In den amtlichen Exportzahlen drückt sich dies zwar noch nicht so deutlich aus, doch verdient Beachtung, dass die Kassapreise für Hartweizen am Golf von Mexiko jüngst ungewöhnlich stark gestiegen sind. Unter den Interessenten sollen sich an herausragender Stelle westeuropäische Importeure befinden.
Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die neue australische und argentinische Ernte in absehbarer Zeit auf den Markt gelangen wird. Das Angebot dieser Länder ziehe zunehmend Interesse auf sich und dränge die amerikanischen Exporteure zurück, wird behauptet.
Dagegen ist einzuwenden, dass sowohl Australien als auch Argentinien über langfristige Lieferverträge mit einer Reihe von Abnehmern verfügen. Große Teile ihrer jeweils neuen Ernten sind daher schon "vom Acker weg" fest verkauft. Die noch frei verfügbaren Mengen sind relativ gering und belasten den Weltmarkt in der Regel wenig. Zudem handelt es sich bei dem Weizen aus den beiden führenden Erzeugerländern der südlichen Halbkugel nicht um die Sorten, die überall unbesehen gefragt sind.
Das gegenwärtig schlagende Argument gegen weltweit massiven Konkurrenzdruck australischen und argentinischen Weizens auf US-Ware sind die weiter explosionsartig gestiegenen Frachtraten. Aus diesem Grund wird der Zirkel, innerhalb dessen Angebot aus der südlichen Halbkugel noch zu akzeptablen Preisen verschifft werden kann, immer enger. Betrachtet man die bedeutenden Importregionen, so begünstigen die haussierenden Frachtraten eindeutig den amerikanischen Export. Die Haussiers können daher durchaus auf Überraschungen hoffen.
Doch über diese eher kurz- bis mittelfristigen Aspekte hinaus bleibt stets zu beachten, dass die jahrelange Serie der Produktionsdefizite bei Weizen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch 2004/05 (Juli/Juni) nicht abreißt. Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass in der kommenden Saison weltweit aus dem Stand heraus 35 Millionen Tonnen mehr erzeugt werden können als 2003/04. Dies Menge wäre nämlich erforderlich, um nur den für 2003/04 errechneten Bedarf zu decken.
Da wir erhebliche Zweifel hegen, dass der Verbrauch in der laufenden Saison tatsächlich nur 584,38 Millionen Tonnen beträgt, wie es das amerikanische Landwirtschaftsministerium (USDA) erwartet, kann der Bedarf in der kommenden Saison durchaus um mindestens 10 Millionen Tonnen höher angesetzt werden. In diesem Fall müssten geradewegs 45 Millionen Tonnen mehr erzeugt werden, nur um einen weiteren Rückgriff auf die noch vorhandenen Vorräte zu verhindern. Dies aber ist in unseren Augen unmöglich.
Fazit: Die latente Knappheit an Weizen wird noch lange anhalten. Der Punkt, an dem die Preise steil anziehen müssen, um den Verbrauch zu dämpfen und zugleich starke Anreize zu höherer Produktion zu schaffen, rückt unweigerlich näher.
(Quelle: Arnd Hildebrandt, Taurosweb)