Getreide: Regulierung - Spekulanten sind nicht das Problem
Dem Risiko das Geschäft verhageln - Europäische Spekulanten sind nicht moralischer veranlagt als amerikanische, sagt Universitätsprofessor Gottfried Tappeiner in der TT.
Das Gespräch führte Julia Hosch
tt.com (20.09.10) - Auf Weizen zu spekulieren, stellt für Gottfried Tappeiner, Leiter des Instituts für Volkswirtschaft an der Uni Innsbruck, kein moralisches Dilemma dar. Trotzdem spricht sich der Experte für strengere Gesetze aus.
Für die momentan überteuerten Rohstoffpreise wird den Spekulanten die Schuld in die Schuhe geschoben. Sollten spekulative Geschäfte auf Lebensmittel verboten werden?
Gottfried Tappeiner: Das Spekulieren auf Rohstoffe wie Weizen, aber auch auf Derivate gesetzlich zu verbieten, hat keinen Sinn. Finanzinvestoren nehmen bei diesen spekulativen Geschäften das Risiko in Kauf, dass ihre Rechnung möglicherweise nicht aufgeht. Im schlimmsten Fall spielen sie nicht die Rolle des Gewinners, sondern des Versicherers.
Stimmt es also nicht, dass Spekulanten an den Rohstoffbörsen die Preise künstlich in die Höhe treiben?
Tappeiner: Spekulanten, die etwas von dem Geschäft verstehen, sind nicht das Problem. Weitaus problematischer ist das Herdenverhalten, das die Börsen beherrscht. Wenn Leute mitmischen wollen, die von der Thematik nichts verstehen, treibt das die Preise so weit in die Höhe, bis sie jeden realen Wert übersteigen – dann spricht man von so genannten Bubbles (Blasen, Anm.). Im Moment ist Weizen aber auch auf Grund von Umweltkatastrophen knapp. Das erhöht den Preis auch ohne Zutun von Spekulanten.
Durch wilde Spekulationen werden die Preise an den Rohstoffbörsen aber nochmals in die Höhe getrieben. Ärmere Länder können sich dadurch Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten – wo bleibt da die Moral?
Tappeiner: Die Grundsatzfrage ist nicht die, ob das Spekulieren auf Rohstoffe ethisch korrekt ist, sondern ob man Länder mit unterschiedlicher Kaufkraft generell auf dem gleichen Markt zusammenbringen soll. Wenn der Einkommensunterschied etwa bei 1:15 liegt, muss irgendjemand den Kürzeren ziehen – und das sind meist die Entwicklungsländer. Hier liegt der Hund im System begraben.
Die EU-Finanzminister diskutieren heftig über gesetzliche Regulierungen für Risikogeschäfte – wie sieht das der Wirtschaftsexperte?
Tappeiner: Meiner Meinung nach gibt es keinen Grund, eine Finanztransaktionssteuer nicht einzuführen. Spekuliert man auf ein voraussichtlich erfolgreiches Geschäft, zahlt man auch gerne Steuern dafür. Hochspekulative Geschäfte, wie zum Beispiel jene mit ungedeckten Leerverkäufen, sollten eingeschränkt werden – auch, wenn manchen Hedgefonds dadurch das Geschäft verhagelt wird.
Negativschlagzeilen zum Thema Spekulanten kommen meist aus den USA – handelt es sich hier um ein amerikanisches Phänomen?
Tappeiner: Es macht zwar den Eindruck, aber diese Annahme ist falsch. Wir Europäer sind auch nicht moralischer veranlagt als die Amerikaner. Bei den USA handelt es sich lediglich um den größten Finanzmarkt.
Wer hat Angst vor den bösen Spekulanten? - Einschränkungen im Agrarhandel führen nicht zu Preisstabilität und Versorgungssicherheit
ovid-verband.de, Berlin (21.01.11) - "Die Rohstoffpreise steigen, die Suche nach den Schuldigen beginnt. Zunächst wurden Biokraftstoffe als vermeintliche Preistreiber identifiziert, nun sollen Spekulationen an den Agrarmärkten die Ursache für hohe Preise und in Folge für Hunger in Entwicklungs- und Schwellenländern sein", so Wilhelm F. Thywissen, Vorsitzender von OVID, dem Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland, zu der politischen Diskussion um eine Beschränkung der Agrarmärkte. Bundesministerin Ilse Aigner hat das Thema Spekulation mit landwirtschaftlichen Rohstoffen auf die Tagesordnung der Agrarministerkonferenz gesetzt, die während der Internationalen Grünen Woche an diesem Wochenende stattfindet. Hintergrund sind die steigenden Lebensmittelpreise, besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern.
"Die Sündenbock-Rhetorik, die in regelmäßigen Abständen bemüht wird, ist kurzsichtig. Die Tank-Teller Argumentation, der Einsatz von Biomasse jenseits der Lebensmittelproduktion, beispielsweise als Bioenergie, gehe auf Kosten der Entwicklungsländer, treibe die Preise nach oben und sei damit verantwortlich für den Hunger in der Welt, verzerrt die Realitäten ebenso wie der Ruf nach Einschränkungen der Börsengeschäfte beim Handel mit agrarischen Rohstoffen, um so für mehr Preisstabilität zu sorgen", erklärt der Vorsitzende von OVID. Vielmehr nutzten die meisten Marktteilnehmer die Börse, um durch Preisabsicherung ihr Risiko zu minimieren - beispielsweise wetterbedingte Ernteausfälle - und nicht, um die Preise nach oben zu treiben. Besonders das Einführen von Limits und das Begrenzen des Handelsvolumens, wie sie derzeit diskutiert werden, hätte schwerwiegende negative Konsequenzen für den Agrarhandel. Börsen funktionieren nur dann zur Absicherung der Rohstoffgeschäfte, wenn genügend Handelsvolumen vorhanden ist. Nur so ergeben sich ausreichend Verkaufs- und Kaufmöglichkeiten. Dafür braucht es neben den regelmäßigen Händlern aus dem Agrarbereich auch Finanzinvestoren, die gerade durch ihre großen Handelsvolumina die dringend benötigte Liquidität in den Markt bringen.
(Quelle und weiter lesen: -> http://www.ovid-verband.de/presse/meldungen/ )