Schweine: Lernen aus der Dioxin Krise
Lehren aus der Dioxinkrise
Von Dr. Albert Hortmann-Scholten
LWK Niedersachsen, Hannover (19.05.11) - Auf den Dioxinskandal war niemand vorbereitet. Wie er entstanden ist, und was sich in solchen Fällen besser machen ließe, zeigt nachfolgender Artikel.
Untersucht man die finanziellen Auswirkungen des Dioxingeschehens, haben die deutschen Schweinefleischerzeuger am stärksten unter dem Geschehen gelitten. Berechnungen zu Folge wurden bis Ende Januar marktbedingte Preisrückgänge von schätzungsweise 100 Mio. € verzeichnet. Rund drei Viertel hiervon entfiel auf die Schweinefleischerzeugung.
Schweine
Was sind die Konsequenzen aus dem Dioxin-Geschehen im Januar dieses Jahres? Die Dioxin-Krise wurde am 21. Dezember 2010 öffentlich bekannt. Auslöser des Skandals war die Meldung einer Dioxin-Belastung von Futtermitteln in einer Firma aus Dinklage. Das Mischfutterunternehmen hatte im Rahmen einer Eigenkontrolle ihrer Futtermittel erhöhte Dioxin-Werte festgestellt und dies dem Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz mit Sitz in Oldenburg (LAVES) mitgeteilt. Erste Sperren erfolgten am 23. Dezember. Das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung in Hannover sperrte 22 Legehennenbetriebe für die Vermarktung und veranlasste Rückstandsuntersuchungen in den Eiern. In fünf Eier- und nur einer Schweinefleischprobe wurde eine Überschreitung der gesetzlichen Höchstgehalte für Dioxin festgestellt.
Der Markt reagierte sofort. Noch nie hat es am bundesweiten Schlachtschweine- und Ferkelmarkt derart gravierende Preisturbulenzen gegeben wie im Januar 2011. Historisch einmalig ist der Notierungseinbruch am 14. Januar 2011, wo der Preis der Vereinigung der Erzeugergemeinschaften für Vieh und Fleisch (VEZG) aufgrund der immensen Marktverunsicherung um 23 ct gesenkt werden musste. Infolgedessen brach auch der Ferkelmarkt phasenweise vollständig zusammen. Entsprechend krass war die Gegenbewegung, die Ende Januar einsetzte. Beflügelt durch die Ankündigung der Europäischen Union die private Lagerhaltung zu öffnen, konnten sich die Kurse sowohl für Schweine als auch für Ferkel deutlich festigen. Auch die künftigen Marktaussichten werden sowohl von der Exportsituation als auch von den EU-Markteingriffen im Rahmen der privaten Lagerhaltung geprägt sein. Am 3. Januar 2011 wurden dann in Niedersachsen rund 1 000 Betriebe aus Gründen des vorsorglichen Verbraucherschutzes gesperrt, weil diese Betriebe möglicherweise mit belasteten Futtermitteln beliefert wurden. Der Höhepunkt der Betriebssperren war der 5. Januar, als sich die Zahl der für die Vermarktung vorübergehend gesperrten Betriebe in Niedersachsen auf rund 4 500 erhöht hatte. Betroffen waren Rinder-, Schweine- und Geflügelhalter.
Kosten für die Schweinebranche
Bis Ende Januar konnten rund 75 Mio. € an direkten marktbedingten Schäden als Folge des Dioxinskandals für die Schweinebranche aufsummiert werden. Diese resultieren vor allen Dingen aus einem Mindererlös je vermarktetem Mastschwein in Höhe von 23 €, die sich über einen Zeitraum von drei Wochen, auf 69 Mio. € aufaddierten. Im Januar 2011 wurden rund 1 Mio. Schweine wöchentlich in der Bundesrepublik Deutschland geschlachtet. Dazu kamen ebenfalls dioxinbedingte Ferkelpreisrückgänge in Höhe von 10 € pro Ferkel, die aber nicht voll angerechnet werden dürfen, da sie den Schweinemäster auf der Kostenseite entlastet haben. Darüber hinaus waren Mindererlöse je Schlachtsau in Höhe von 42,50 € festzustellen. Bei durchschnittlich 25.000 vermarkteten Schlachtsauen errechnet sich hieraus eine Summe von 1,06 Mio. € pro Woche oder 3,18 Mio. € bis Ende Januar.
Folgekosten
Darüber hinaus sind folgende Kostenpositionen zu betrachten: Bei Sperrung von Betrieben wurde die Fütterung in der Intensität zurückgefahren. Durch die restriktive Fütterung verringerten sich die täglichen Zunahmen. Die Tiere blieben länger im Stall, wodurch sich die anteiligen Fixkosten pro erzeugten Schwein erhöhten. Des Weiteren haben sich durch die verlängerte Mast erhöhte Futterkosten ergeben. Schätzungsweise verschlechterte sich in den gesperrten Betrieben die Futterverwertung von 1:2,9 auf 1:4,2. Somit entstanden pro Tier und Tag Verluste von 23 ct bei den gesperrten Tieren. Außerdem folgten Preisminderungen durch einen erhöhten Maskenschlupf als Schadenposition. Weitere Kosten wie Untersuchungskosten für die Dioxinproben bzw. eine Tierbewertung für die nicht verwertbaren Schweine sind betriebsindividuell zu berücksichtigen.
Zusätzlich sind Kostenpositionen entstanden, die angesichts des immensen sektoralen Schadens kaum ins Gewicht fallen. Diese können momentan noch nicht genau quantifiziert werden. In ganz wenigen Betrieben sind Entsorgungskosten für nicht vermarktungsfähige Schweine angefallen. Ebenfalls unberücksichtigt blieben Zinskosten bzw. Kosten für die Zwischenfinanzierungen bei innerbetrieblichen Abläufen aufgrund verspäteter bzw. nicht eingegangener Vermarktungserlöse. Auch können zum derzeitigen Zeitpunkt auch noch nicht die möglicherweise anfallenden Kosten für Gutachter und/oder Sachverständige beziffert werden, die im Rahmen von Auseinandersetzungen mit Versicherungen (Ertragsschadenversicherung, Betriebshaftpflichtversicherung) anfallen werden.
Gibt es Verbesserungsmöglichkeiten im Krisenmanagement?
Das QS-System hat in der Krise schnell und gut gearbeitet. Durch ein hohes Maß an Rückverfolgbarkeit wurden die betroffenen Betriebe rasch identifiziert und die Lebensmittelsicherheit verbessert. QS kann allerdings keine Gesetzesverstöße verhindern bzw. kriminelle Energie ausschließen, sondern nur dafür Sorgen, dass die Defizite schnell erkannt und Schäden begrenzt werden. Die illegale Beimischung von belasteten Fettsäuren im Futterfett fand bei einem Transportdienstleister statt. Dieses Unternehmen war weder futterrechtlich registriert noch von QS zertifiziert. Das Geschehen zeigt, dass alle möglichen Eintrittspfade für Schadstoffe in die Lebensmittelkette betrachtet werden müssen und dass eine vollständige Trennung der Warenströme für Futtermittel und futtermittelfremdes Material durch die Behörden sichergestellt werden muss.
Interne und externe Kommunikation
Die Abstimmung zwischen den Landkreisen, den zuständigen Landesstellen und dem Bundesministerium in Berlin ist verbesserungsbedürftig. Vielfach sind die Informationen und Informationskanäle nicht aufeinander abgestimmt. An dieser Stelle zeigt sich die Schwäche des föderalen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Zentralistisch aufgebaute Länder wie Frankreich, Dänemark oder die Niederlande haben hier im Krisenmanagement eindeutig Vorteile, weil die Informationen über wenige Stellen gebündelt werden. Bei der internen Kommunikation zwischen Landkreisen, Landesbehörden und der Bundesebene hatte der Verbraucher den Eindruck, dass Informationen nur häppchenweise an die Öffentlichkeit weitergegeben wurden.
Vor rund zehn Jahren wurde vor dem Hintergrund der BSE-Krise das Bundesinstitut für Risikobewertung gegründet. Hier sollte man künftig zentral alle relevanten Informationen bündeln und eine Bewertung für die Öffentlichkeit vornehmen. Bedingt durch unser pluralistisches System fühlen sich jedoch viele lokale und regionale Stellen berufen, eine Risikobewertung vorzunehmen. Damit ist vorprogrammiert, dass eine einheitliche Kommunikationsstrategie zur sachlichen Aufklärung der Öffentlichkeit nicht entwickelt werden kann.
Beispielsweise ist nicht klar genug kommuniziert worden, warum für einzelne Nahrungsmittel unterschiedliche Dioxingrenzwerte gelten. Außerdem ist den Verbrauchern auch nicht bewusst, dass auf Bundesebene nicht das Verbraucherschutzministerium für die Lebensmittelsicherheit zuständig ist, sondern dass die Kontrolle von Futter und Lebensmitteln den einzelnen Bundesländern obliegt. Im Zuge einer schlagkräftigen Krisenbewältigung müssten die Kompetenzen für das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) zu Lasten der Bundesländer ausgeweitet werden.
Kommunikationschaos in der Krise
Bei der Betrachtung des Dioxingeschehens mit einem zeitlichen Abstand wird deutlich, dass der größte ökonomische Schaden sicherlich durch den Imageverlust im In- und Ausland entstanden ist. Dieser hält bis zum heutigen Tag an, da Exportauflagen die Fleischexporte erheblich verteuern. Vielfach fordern die Einfuhrländer kostenintensive Dioxin-Schnelltests, was aus Sicht der deutschen Fleischwirtschaft zu erheblichen Wettbewerbsverzehrungen führt. Die politisch Verantwortlichen haben bedingt durch ein Kommunikationschaos und ein schlechtes Informationsmanagement, die Krise insbesondere in den Exportländern massiv vergrößert. Die Feststellung des Bundesinstitutes für Risikobewertung (BfR) einen Monat nach Krisenbeginn, dass eine gesundheitliche Gefährdung der Verbraucher zu keinem Zeitpunkt bestanden habe, ist viel später in den Medien kommuniziert worden. Naturgemäß haben die Medien kaum ein Interesse daran, insbesondere zu einem Zeitpunkt, wo das Interesse bereits abflacht, positive Meldungen zum Verbraucherschutz zu kommunizieren. Die Fleischerzeuger hatten in der Situation der Krise nicht viele sachliche Informationen und fundierte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit anzubieten.
Zu diesem Zeitpunkt mangelte es vollständig an einer überzeugenden Kommunikation der gesamten Produktionskette. Die gravierenden Versäumnisse in der Öffentlichkeitsarbeit führten dazu, dass man die öffentliche Diskussion vollständig den Medien, der Politik und Nichtregierungsorganisationen (NG0s) überlassen hat. Nur so war es zu erklären, dass ein Problem der Futtermittelproduktion gleich zu einer Frage der industriellen Agrarproduktion sowie der Zukunft der so genannten Massentierhaltung umfunktioniert wurde.
Fazit:
Langfristig ist nicht abzuschätzen, wie hoch der Imageschaden durch die jüngste Lebensmittelkrise zu bewerten ist. Insbesondere auf den Exportmärkten wurde eine Menge an Vertrauen verspielt. Die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Branche ist gefährdet. Bereits jetzt geht der Trend in vielen Teilen Europas zu sinkendem Fleischkonsum. Diverse Kampagnen, eine stetig kritischer werdende Presse und zunehmender Druck der NGOs tragen dazu bei, dass sich eine unterschwellig ablehnende Einstellung gegenüber Fleisch verfestigt. Hier besteht dringender Handlungsbedarf mit einer fundierten Öffentlichkeitsarbeit zur Versachlichung der Diskussion beizutragen.
(Quelle, Ansprechpartner und Kontaktdaten: http://www.lwk-niedersachsen.de/index.cfm/portal/betriebumwelt/nav/360/article/16520.html )