Getreideernte Russlands: Schätzungen knapp unterhalb von Rekordergebnissen bis zur Gefährdung der Selbstversorgung
Die kommende Getreideernte Russlands wird höchst unterschiedlich eingeschätzt. Die Spannbreite der Ergebnisse reicht von 75 Mio. t bis 100 Mio. t.
Die höchsten Erntezahlen kamen bisher aus dem russischen Landwirtschaftsministerium. Die Regierung bezifferte das kommende Ernteergebnis auf rd. 100 Mio. t, etwas weniger als die 104 Mio. t des Vorjahres. Die Zahlen werden mit dem milden Winter und der Erholung der ursprünglich schwachen Saatenstände begründet. Von Regierungsseite wird mit einer kräftigen Ausweitung der Sommersaaten gerechnet.
Ein bekanntes russisches Agrarberatungsbüro schätzt die Ernte in der Größenordnung zwischen 85 und 95 Mio. t. Dabei wird auf die trockenheitsbedingt dünnen Bestände in Teilen Russland hingewiesen. In anderen Gebieten seien Auswinterungsschäden festzustellen, die in einer Größenordnung von 10 bis 15 % geschätzt werden. Der Schwerpunkt der Argumentation liegt auf dem sparsamen Einsatz erheblich verteuerter Betriebsmittel wie Saatgut, Dünger, Pflanzenschutz und Treibstoffe. Die Folge seien geringere Erträge. Die Frühjahrsbestellungen sollen nicht so groß ausfallen, weil auch schwache Saatenstände aus Kostengründen nicht zwingend neu bestellt werden.
Noch kritischer sehen Geschäftsführer von großen Erzeugergemeinschaften die kommende Getreideernte Russlands. Nach ihren Feststellungen vor Ort werden Erntezahlen zwischen 75 und 85 Mio. t genannt. Zunächst wird bestätigt, dass im Süddistrikt um Krasnodar zwar schwache Saatenbestände beobachtet wurden, aber infolge des milden Winters und der Regenfälle eine regionale Besserung eingetreten sei.
Dagegen hätte es in der Region um Wolgograd erheblich größere Auswinterungsschäden gegeben. Eine umfangreiche Neuansaat würde teilweise unterbleiben, weil die Finanzmittel für Saatgut, Dünger und andere Betriebsmittel zu teuer seien bzw. völlig fehlen. Es wurden Kostensteigerungen von 50 bis 200 % genannt, die infolge der hohen Inflationsrate und des Kursverfall des Rubel entstanden seien.
Inwieweit die angelaufenen staatlichen Stützungsmaßnahmen eine ausreichende Wirkung zeigen, wird bezweifelt. Da verlässt man sich eher auf zurückgehaltenes Getreide in den Silos, das als Reservewährung dient. Allerdings war die Verlockung für den Export sehr groß, so dass die Bestände nicht mehr allzu üppig sind.
Die entscheidende Phase der Kornfüllung steht aber noch in den Monaten Mai/Juni bevor. Üblicherweise fallen dann unter Kontinentalklimabedingungen keine oder wenige Niederschläge. Mit ziemlicher Regelmäßigkeit von 2 bis 4 Jahren treten größere Trockenperioden auf. Die Folgen waren in den zurückliegenden Jahren so massiv, dass die Selbstversorgung Russland in Gefahr geriet. Der russische Inlandsverbrauch liegt bei rd. 75 Mio. t mit leicht steigender Tendenz. Das letzte katastrophale Getreidejahr in Russland fand 2009/10 statt. Damals hat man gleich zu Erntebeginn ein striktes Ausfuhrverbot erlassen.