Brexit am seidenen Faden – Gerichtsbeschluss fordert Parlamentsabstimmung
Das Ergebnis der Volksabstimmung über den britischen Austritt aus der EU wird noch ein längeres Nachspiel haben, als bisher erwartet wurde. Es ist davon auszugehen, dass der Gerichtsbeschluss über eine diesbezügliche Parlamentsabstimmung vom Supreme Court bestätigt wird.
Damit wird in aller Öffentlichkeit eine politische Auseinandersetzung über die Art und Weise eines möglichen Austritts unvermeidlich werden. Die zur Abstimmung aufgerufenen Parlamentarier der verschiedenen Parteien werden wissen wollen, mit welchen Folgen für Großbritannien im Austrittsfalle zu rechnen ist. Eine öffentliche Darlegung der Verhandlungspositionen mit der EU schwächt jedoch die britische Seite.
Eine Diskussion könnte zu einer sachgerechteren Folgenabschätzung beitragen, die offensichtlich im Vorfeld des Volksentscheids mit fragwürdigen Argumenten und gezielten Fehlinformationen geführt wurde.
Ein besonderes Diskussionsthema könnte die allgemeine Wirtschaft mit dem Schwergewicht des Finanzplatzes London werden.
Für den Agrarbereich spielen die vielfältigen Vernetzungen von Im- und Exporten mit der EU eine nicht einfach zu durchschauende Materie. Großbritannien ist grundsätzlich vom Agrarimport abhängig. Der Schweinefleischmarkt verfügt nur über einen Selbstversorgungsgrad von etwas über 50 %. Die Einfuhren stammen zu 33 % aus Dänemark und jeweils rd.20 % aus Deutschland und Holland. Rindfleisch zur Auffüllung eines Selbstversorgungsgrades von 78 % stammt zu großen Teilen aus dem Nachbarland Irland. Von daher stammen auch die meisten Nettoimporte für Milchprodukte.
Je nach Ernteergebnis ist Großbritannien ein bedeutender Exporteur von Getreide in Form von Weizen und Gerste in einer Größenordnung von 4 bis 6 Mio. t bzw. durchschnittlich 15 % seiner Erzeugung. Die Lieferungen in die EU-Länder konzentrieren sich zur Hälfte auf Spanien und zu weiteren kleineren Anteilen auf Portugal und Holland. Rd. 0,5 Mio. t Raps wurden in der Vergangenheit exportiert, dürfte aber in Zukunft wegen der fortlaufenden Flächenreduzierungen deutlich weniger werden.
Für die britische Landwirtschaft werden die bisherigen EU-Direktzahlungen und der EU-Agraraußenhandelsschutz zu zentralen Problemfeldern werden. Britischer Wirtschaftsliberalismus wird dazu beitragen, dass Importzölle demnächst reduziert bzw. gestrichen werden. Angesichts des hohen Importbedarfs werden Billigeinfuhren freien Zugang zum britischen Agrarmarkt bekommen mit der Folge sinkender und instabiler Agrar- und Nahrungsmittelpreise. Der Druck auf die Agrareinkommen in Großbritannien wird zusätzlich durch die wohl kaum in der bisherigen Form erfolgten Direktzahlungen an die Landwirtschaft verschärft. Ein verstärkter Strukturwandel nach dem Jahre 2020 wird erwartet.
Die britischen Abgeordneten aus den überwiegend ländlichen Regionen werden sich daher genau überlegen müssen, ob das bisherige Votum für den Brexit für ihre Wähler und sich selbst von Vorteil ist. Die Befürworter des Brexit stammten zu großen Teilen aus den Agrarregionen.
Für die EU wird insbesondere der Veredlungssektor in Mitleidenschaft gezogen werden. Von daher besteht ein beiderseitiges Interesse an möglichst wenigen Änderungen zu den jetzigen Beziehungen. Ob die Landwirtschaft angesichts der vielschichtigen Verhandlungsthemen jedoch den entsprechenden Stellenwert einnehmen wird, bleibt offen.