Auf dem Welt-Jugendforum im ägyptischen Badeort Sharm-al-Sheik sprach Sisi in dieser Woche über die Weltpolitik. Es ging um Themen wie dem Wiederaufbau Syriens und die religiöse Toleranz. Was die Menschen allerdings interessierte, waren die hohen Kartoffelpreise. Sie bekamen von Sisi zur Antwort: Wollen Sie einen würdigen Staat aufbauen, oder wollen Sie sich um Kartoffeln kümmern?“ Zuvor hatte er angekündigt, dass es in diesem Jahr keine Gehaltssteigerungen in Ägypten geben werde, obwohl die Staatsausgaben gestiegen sind.
Tatsächlich waren die Preise für Kartoffeln in den vergangenen zwei Wochen von 6 ägyptische Pfund auf 14 Pfund pro Kilogramm gestiegen. Das sind knapp 60 Euro-Cent. In den ägyptischen Medien und auf der Straße wird aktuell von einer Kartoffelkrise gesprochen. Die Bemerkungen Sisis trafen somit den Nerv des Volkes. Der seinerseits das riesige Problem hat, seine Ausgaben zu begrenzen und bei der Finanzierung der Armenspeisung ansetzen will. In den sozialen Medien wird viel Kritik geäußert. Andere machen sich lustig. Auf eine Spaßumfrage ob man sich für Kartoffeln oder für einen würdigen Staat sei, antworteten 89% der Befragten, dass sie sich für Kartoffeln entscheiden würden. Andere bemerken, dass es eigentlich ja keine Alternative sei, man könne sich zwar zwischen Kartoffeln und Reis entscheiden, aber nicht für Kartoffeln und gegen seinen Staat.
Dieser Humor spricht aber ein sehr ernstes Problem an, das in Ägypten und in Nordafrika allgemein vorherrscht. Bei dem Versuch, im Jahre 2011 die Lebensmittelpreise anzuheben und die Armenspeisungen zu begrenzen, kam es zu Aufständen und im Anschluss an den Sturz der Mubarak-Regierung. Im Jahre 2014 musste Sisi auch schon Straßen sperren lassen, um Proteste gegen Lebensmittelverknappung und hohe Preise einzugrenzen. Jetzt sind schon wieder Reformen erforderlich, um ein 12 Mrd.-Darlehen des Internationalen Währungsfonds behalten zu können. Es wird schmerzliche Einschnitte für alle Ägypter geben. Seit den 1960er Jahren wurden die Lebensmittelhilfen in Ägypten nicht angetastet.
Längst sind auch Ägyptens Kartoffeln von Käufern aus der Europäischen Union stark umworben. Von der Winterernte, die Ende November beginnt, wird hier wohl nur wenig ankommen, weil sie wegen hoher Tagestemperaturen nur kleine Erträge bringt. Dürre herrscht auch in Israel und auf Zypern. Der eigene Markt in Ägypten braucht ebenfalls viel, aber 28% der ägyptischen Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze und sind auf günstige Lebensmittel angewiesen. Außerdem braucht Ägypten Devisen und muss soviel wie möglich exportieren. Wenn Europa später in der Saison etwas abhaben will, müssen jetzt Pflanzkartoffeln geliefert werden. Saatkartoffeln sind aber knapp und teuer; speziell Sorten für die Produktion von Verarbeitungsrohstoff. Einige Sorten gelten sogar schon als ausverkauft und zugesagte Mengen werden von den Anbietern gekürzt.
Dass die Kartoffelernte in Kontinental-Nordwesteuropa 20% kleiner ist, wie der Anbauverband NEPG in seiner Pressemeldung von gestern mitteilte, ist noch nicht einmal die ganze Wahrheit. Die Qualität bereitet in Belgien und Nordostfrankreich erheblich Probleme. Glasige Kartoffeln müssen mit hohem Aufwand aussortiert werden, damit diese Partien überhaupt verarbeitungswürdig sind. Man versucht zu retten, was zu retten ist. Die schlechtesten Partien werden jetzt vorrangig verarbeitet und haltbare Lagerkartoffeln müssen deshalb später verarbeitet werden.
Die bloßen Zahlen sagen aber auch noch nichts über die Verteilung der Kartoffeln in der EU aus. Die AMI weist auf eine ungünstige Verteilung hin. In den Hochburgen der Verarbeitung sucht man Kartoffeln an dringlichsten, dort gibt es auch die größten Haltbarkeitsprobleme. Der BOGK sieht die Versorgung mit qualitativ guter Ware bis zum Anschluss an die neue Saison nicht als gesichert an.
ZMP Live Expertenmeinung
Trockenes Wetter und hohe Temperaturen haben auch in Ägypten einen negativen Einfluss auf die Kartoffelerträge. Preise steigen auf Rekordhöhe. Die Verarbeitungsindustrie verbraucht bereits 1 Mio. Tonnen Kartoffeln im Jahr und 850.000 Tonnen werden exportiert. Um einem Engpass bei der Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Grundnahrungsmitteln zuvor zu kommen, sind in den kommenden Monaten staatliche Beschränkungen zu erwarten. Abdel Fattah al-Sisis Problem ist es, die Anforderungen des internationalen Währungsfonds zu erfüllen, um den Staatshaushalt zu finanzieren.