Richard Ebert
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Anlegerverhalten: Prognosen wirken wie eine Droge

Gehirnforschung und Anlegerverhalten - Prognosen wirken wie eine Droge

06.03.04 (FAZ) Die moderne Finanzmarkttheorie ist ein Tempel der Rationalität: Anleger sammeln, aggregieren und bewerten alle relevanten Informationen und treffen dann eine für sie optimale Entscheidung. Schade, daß sich die Wirklichkeit so wenig an die Theorie hält: Anleger nutzen nicht die Möglichkeiten zu Diversifizierung, die Aktienkurse sind, gemessen an den Fundamentaldaten, viel zu schwankungsanfällig, und noch nicht einmal die Profis konnten sich dem irrationalen Herdentrieb der Spekulationsblase des Jahres 2000 entziehen.

Ein wirklich souveräner Theoretiker konstatiert, daß es schlimm um die Realität bestellt sein muß, wenn sie sich nicht nach der Theorie richtet, ein neugieriger Forscher sucht nach den Ursachen für dieses Mißverhältnis.

Eine Anleihe bei der Psychologie

Auf der Suche nach den Gründen für die Irrationalität des Anlegerverhaltens nahmen sich Ökonomen eine Anleihe bei der Psychologie, das Ergebnis dieser Liaison ist die "Behavioral Finance". Diese versucht Fehler der Anleger beim Erkennen, Bewerten und Entscheiden zu erkennen und somit Erklärungen für das irrationale Verhalten der Menschen zu finden. Die Ursachen menschlichen Verhaltens kann die "Behavioral Finance" allerdings nicht erklären - was zwischen einem Stimulus und der daraus resultierenden Reaktion des Menschen im Gehirn passiert, bleibt im dunkeln. Doch mit dem technischen Fortschritt in der Gehirnforschung, mit dem Aufkommen neuer Hilfsmittel wie der Positronen-Emissions-Tomographie oder der Kernspintomographie machen sich Wissenschaftler nun auf die Suche nach den biologischen Ursachen des Anlegerfehlverhaltens.

Droge Dopamin

Eine erste Erkenntnis der Gehirnforscher: Unser Gehirn belohnt uns bereits für die Prognose. Schuld daran ist der Neurotransmitter Dopamin, der ausgeschüttet wird, wenn Menschen unter Risiko und Unsicherheit Vorhersagen machen. "Dopamin ist das Glückshormon, es macht uns durch die Vorfreude glücklich", sagt Helmut Henschel von WestLB Research, der sich mit der Neurophysiologie des Anlegerverhaltens beschäftigt. Die Dopaminausschüttung ist um so größer, je schwerer eine Folge zu prognostizieren ist: "Prognostizieren macht Spaß, und je unwahrscheinlicher die Chancen sind, um so größer ist die Dopaminausschüttung", erklärt Henschel.

Ein Gehirn, das Gewinne prognostiziert, ist nicht von einem Gehirn zu unterscheiden, das auf Drogen reagiert, sagt der Befund der Neurophysiologen. Im Klartext: Schon bei der Prognose belohnt uns unser Gehirn mit Dopamin. Bewahrheitet sich die Prognose, so erfolgt keine weitere Dopaminausschüttung, liegen wir hingegen falsch, fällt der Dopaminspiegel - wir werden enttäuscht, und die betreffende Aktie, die für die Enttäuschung verantwortlich ist, wird bestraft. Die Belohnung für eine Prognose mittels Dopamin dürfte es auch sein, die den technischen Analysten so viel Freude macht: "Wir tendieren dazu, Muster zu sehen, auch wenn wir wissen, daß es eigentlich keine Muster gibt. Wir sind süchtig nach der Prognose auf der Basis von Mustern", erläutert Henschel. Verantwortlich für diese Erkennung von "Mustern" ist der sogenannte Nucleus accumbens, der für Emotionen zuständig ist - Hoffnung, Euphorie, aber auch Sucht sind hier verankert.

Mensch als Sklave seiner Emotionen

Ist der Mensch also ein Sklave seiner Emotionen, die es gilt abzuschalten? Zumindest letzteres wäre verheerend, erklärt Henschel und verweist auf Experimente, die man mit Menschen gemacht hat, deren Stirnhirn oder Mandelkern geschädigt war. "Patienten mit geschädigtem Mandelkern beispielsweise können das Gefühl von Gewinnen oder Verlieren nicht erfahren", erklärt Henschel. Die Folge: Ohne die Emotionen, die der Mandelkern liefert, verharren diese Menschen bei Verliererstrategien - es erfolgt kein Umlernen. "Die Schädigung der Mandelkerne führt dazu, daß diese Menschen Ereignisse nicht als gut oder schlecht empfinden können", sagt Henschel.

In beiden Fällen ist die Verbindung zwischen Gefühlen und Erfahrungen unterbrochen. Die Folge ist, daß der Verstand unfähig ist, als logisch richtig erkannte Entscheidungen auch zu vollziehen - weil die emotionalen Attribute fehlen, die uns diese Entscheidung auch als "richtig" empfinden lassen. Vereinfacht gesagt ist es dem Patienten egal, ob er gewinnt oder verliert - weil keine Emotionen daran geknüpft sind. "Ohne Emotionen ist der Verstand ein zahnloser Tiger, der das, was er für richtig hält, nicht durchsetzen kann", lautet Henschels Fazit.

Guter Witz gut fürs Depot

"Sie können Ihre Gefühle, Ihr Dopamin, nicht ausschalten. Kämpfen Sie also nicht dagegen an", lautet Henschels Ratschlag. Anleger sollten also Gefühle zulassen und ihnen auch nachgehen, aber nicht immer. Weiterhin hilfreich sei es, ein "Gefühlsregister" anzulegen: "Schreiben Sie auf, wie Sie sich bei Käufen und Verkäufen gefühlt haben. Erinnern Sie sich, wie Sie sich das letzte Mal in einer vergleichbaren Situation gefühlt haben und was dann passiert ist", rät Henschel.

Auf diesem Weg könne man Vorurteile des Gehirns erkennen und gegebenenfalls relativieren. Die vielleicht angenehmste Botschaft Henschels: Lachen ist Medizin. "Gute Stimmung verbessert die Fähigkeit, flexibel und komplex zu denken - das Gehirn braucht Spaß." Vereinfacht gesagt: Ein guter Witz ist unter Umständen auch gut fürs Depot.

(Quelle: Text: hbe., Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.03.2004, Nr. 56 / Seite 23)

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zorrie
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

A Second Quarter Review of 2019 “Sure Things”

https://www.advisorperspectives.com/articles/2019/07/18/a-second-quarte…

Eine Auswertung über "sichere" Voraussagen von Finanz-Gurus. Trefferquote 32%. Das ist desaströs. Wer seine Anlagestrategie nach "sicheren Wetten" ausrichtet, mit der Masse geht, wird scheitern.

benedikt54
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

zorrie

Da brauch ich keine Studie. In den 90er jahren bei der Dresdner war es eine Bank

gegen die Empfehlungen aus FFM zu wetten. Die Trefferquote der FFM entsprach auch ungefähr der obigen Qote

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SPOMI
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

ad zorrie:

sieh dir mal auf den div. CFD Plattformen die Positionierung der Kunden an. da kannste auch deine Schlüsse ziehen. die Quote liegt ziemlich gleichauf - egal ob retail-client oder publizierte Analyse Empfehlung. Grüsse SPOMI

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zorrie
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

SPOMI, kann man die Quoten der Kunden live einsehen? Gibt es Broker, die das veröffentlichen? Das wäre ein ziemlich starker Contra-Indikator.

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SPOMI
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zorrie
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

Ok, vielen Dank!

benedikt54
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

zorrie

Die Sache ist doch eigentlich relativ logisch.

Anleger welche sich für ein bestimmtes Segment entschieden haben, oder eine Aktie entschieden haben möchten über das Produkt welches Sie kaufen

etwas positives Lesen. Es liegt in der Natur des Menschen sich in seiner Entscheidung bestätigt zu fühlen.

Meist fühlen sich die meisten Anleger genötigt der Umwelt oder Freunden oder Bekannten oder Familienmitglieder von Ihrer Entscheidung zu berichten.

So ist es doch derzeit mit dem Cannabis Boom. Alle Welt kauft Cannabis und das ist ein gewaltiger Markt und unglaublichen Perspektiven und die Medien

überschlagen sich geradezu mit fantastischen Aussichten auf die Zukunft. 

Bei so einem Umfeld ist es auch schwierig Argumente dagegen zu finden, zumal in solchen Phasen durchaus die Bewegungen noch laufen können und der Anleger

zumindest kurzfristig auf Gewinnen sitzt.

Letztendlich holt ihn der Markt ein und Realität kommt zu Ihrem Recht.

Spricht man dann die Leute auf ihr Angagement an ist Ihnen das zutiefst unangenhem und man hört folgendes,

Ach die steigen schon wieder.

Tun sie das nicht wird aus der Anlage ein Investment, denn alles was man nicht mit Gewinn verkaufen wird und sich zum Ladenhüter entwickelt wird zum Investment.

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