tradexxx
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

Grundeinkommen: Echte Lösung oder totaler Unsinn ?

Mich hat die geschlossene Einigkeit verwundert, mit der die Idee vom Grundeinkommen lapidar als "Spinnerei" vom Tisch gefegt wurde.

Um die Diskussion nicht in den zweifelhaften Einfluss von Frick und Lafontaine zu stellen, eröffne ich mal diesen Beitrag.

Die Kritiker des Grundeinkommens sollten sich vor Augen führen, das "Arbeit" in den uns bekannten industriellen Struktur ein Phänomen ist, das seit gut rund 80 Jahren existiert (im Grunde seit den Weltkriegen).

Davor war Arbeit seit Jahrhunderten eher in Familien, Kleinbetrieben, höfischen Gemeinschaften und in selbständigen Tätigkeiten vorhanden. Frühere Arbeit war zeitlich unstrukturierter (z.B. keine festen Arbeitszeiten, Saisonarbeiten, Arbeit wie sie gerade anfällt) - aber dafür eingebunden in wesentlich festere soziale Strukturen (Familien, Dorfgemeinschaft, Hofgemeinschaften, Sippen usw.). 90% der Arbeit war früher selbständig organisiert - 10% war industrielle Arbeit. Heute ist es genau umgekehrt.

Die zeitlich straff und an industriell konzentrierte Arbeit hat diese Strukturen völlig zerschlagen und aufgelöst.

Das schafft heute erhebliche Probleme, denn es hat einen passiven Bedürftigkeitsmenschen erschaffen - der aufgrund der komplett industriell organisierten Struktur unserer Gesellschaft und ohne natürliches, breites soziales Netz - in massive Probleme gerät, wenn er "Arbeit" verliert.

Es ist allerdings so, dass Arbeit tendenziell weniger wird - durch technologischen Fortschritt plus Globalisierung. Mussten Arbeiter früher ihre Arbeit mit Arbeitern aus dem eigenen Land oder der Region teilen - so müssen sie das heute mit einigen Milliarden Menschen weltweit.

Es ist also ein Märchen, dass wir die Entwicklung der industriellen Arbeit immer weiter vorantreiben können. Selbst Vorbildsland der Arbeit "Amerika" verwaltetet mitterlweile nur noch Markennamen und Patentrechte - statt zu prodizieren und herzustellen. Sie können sich den Luxus erlauben, weil sie diese Patente und Marken besitzen - während Staaten wie Deutschland, die auf "handfester Arbeit" basieren in erhebliche Probleme taumeln.

Erst hat man den "industriellen" Menschen geschaffen - jetzt wo sich Arbeit durch Fortschritt und Struturwandel kontinuierlich verringert, wird er zur Last.

Was also tun mit diesen Menschen? Zum Spargelstechen schicken? So viel Spargel gibt es gar nicht.

Ich finde sehr wohl, dass die Profiteure des Systems an die Kandarre genommen werden müssen und dass allgemein Lösungen gefunden werden müssen. Sonst wird sich die "Deutschland"-Epedemie sehr bald in vielen Ländern breit machen, die dem deutschen Weg als Wirtschaftwunder in der Frühphase der fortgeschrittenen Industrialisierung gefolgt sind. Wirtschaftaufschwünge in Zukunft bedeuten NICHT MEHR ARBEIT! Daran werden wir uns gewöhnen müssen.

Wir brauchen ein neues Denken, neue Ansätze - die alten Regeln greifen nicht mehr. Deutschland ist das beste Phänomen. Immer nur auf den Verlierern herumzuhacken und ihnen Unwillen zu unterstellen kann keine Lösung sein.

Da finde ich den Vorschlag des Grundeinkommens durchaus bedenkenswert.

Wir brauchen wieder viel mehr Selbständigkeit, freie und aktive Arbeitsmöglichkeiten auf freier Entscheidungsbasis - und keinen absurden Sozial-Staat, der Bürger unmündig macht, Renten- und Gesundheitskassen auf Zwang, die unbezahlbar werden und zu nichts führen als freie Arbeit und Entscheidung unmöglich zu machen.

Wer sich in mit einem Kleingewerbe selbständig machen will, muss vom Start an das Gehalt einer mittleren bis oberen Angestelltenstelle von 1000 Euro Reingewinn pro Monat einbringen, um allein seinen Versicherungspflichten nachzukommen - ohne dazu einen echten, nachgewiesenen und vor allem in der Anfangszeit notwendigen Gegenwert zu bekommen.

Statt einer bizarren Grundversorgungs-Lüge, die ein ganzes Land lähmt, erscheint mir der Grundeinkommens-Gedanke wesentlich sinnvoller.

Natürlich hört es sich wie Spinnerei an - noch? Aber Jule Vernes Romane waren auch Spinnerein. Und die Probleme sind ja da - Lösungen dagegen nicht in Sicht. Warum also nicht um die Ecke denken? Altbekanntes aber über Bord werfen, wenn es zu nutzlosen (gefährlichen) Ballast wird? Anders kann es keinen Fortschritt geben.

Thaddeus
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

@
tradexxx

Bei jemanden, der nicht nur vom Grundeinkommen lebt, brauch natürlich keine "Gegenleistung" gefordert werden, denn er erbringt sie ja schon mit seinen Steuerzahlungen.

Eine Vereinfachung, also eine Art Grundeinkommen, kann schon erreicht werden, wenn das Steuerrecht massiv vereinfacht (ohne Ausnahmen und niedrigeren Sätzen) wird und eine ausreichende steuerfreie Grundpauschale angesetzt wird.
Auch eine stärkere Finanzierung der Staatsaufgaben über indirekte Steuern (Konsumsteuern z.B. MWSt) statt direkten Steuern (Einkommenssteuern) wäre m.E. zu begrüßen.

Hier ist das System der Amerikaner mit der "negativen" Einkommenssteuer sehr interessant. Man bekommt etwas ausgezahlt, wenn man unter einem bestimmten Einkommen liegt und die Steuererklärung abgibt (allerdings natürlich auch nur der, der ein Einkommen hat bekommt dieses aufgestockt).

Ob man, wie die USA, zum Schluß keinerlei Hilfen mehr leistet (auch bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit) ist sicherlich zu hinterfragen.

Gruß
Thaddeus

tradexxx
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

SPIEGEL ONLINE: ...es gibt also nicht weniger Arbeit?

Horx: Nur die Arbeitsformen ändern sich, und das bisweilen so heftig und schnell, dass manche Menschen keinen Anschluss mehr an die Erwerbssphäre finden. Es wird in 60 Jahren keinen lebenslangen Erwerbsentwurf mehr geben wie im industriellen System, wo Menschen mit einer Ausbildung bis zur Rente immer im selben Beruf geblieben sind. Arbeit wird immer vielfältiger, fraktaler, sie löst sich von den starren Zeitrhythmen des Industriezeitalters, von den alten Vertragsformen. Vermutlich haben wir im Jahr 2050 30 bis 40 Prozent Selbstständige. Das klassische Angestelltentum wird eher minoritär.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,456163,00.html

--- Das ist ein ganz wichtiges Argument, das ganz entscheidend für das System Grundeinkommen ist: Arbeit verändert sich.

Wir werden den massiven Trend zu Selbständigkeit, Freiberuflichkeit und Patchwork-Arbeitsverhältnissen sehen.

Unser heutiges System, Denken und Selbstverständnis basiert auf dem Zeitalter von klassischer Fabrikarbeit, industrieller Revolution und einem mehrheitlichem Angestelltendasein. Das ist aber Geschichte - dieses System ist in Auflösung.

Um den Sprung in eine moderne Arbeitswelt zu schaffen, brauchen wir Systeme, die flexible, frei, eigenverantwortlich und vor allem schnell und unbürokratisch sind.

Arbeit hat sich vorbei an der staatlichen Wahrnehmung anders entwickelt. Dieser Ewicklung trägt das System Grundeinkommen flexible Rechenschaft.

Cicolia
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

Es ist nicht immer einfach, Fluggeräts Meinung zu teilen aber seinen Ansichten vom Mai 06 zu kann man nur zustimmen.

Die neue Österreichische Regierung hat sich übrigens auf 726,- Eur/Monat Grundsicherung geeinigt - allerding OHNE ZU WISSEN, WIE DER UNSINN FINANZIERT WERDEN SOLL. Ist es nicht symptomatisch genug? Wie soll man Geld umverteilen, welches es nicht gibt?

Ich glaube, es gibt sehr viele 1000 Euro Jobs. Kann mir bitte jemand von den Grundeinkommenanhängern erklären, warum dann diese Leute noch 8 Stunden täglich arbeiten gehen sollten, wenn sie das gleiche durch die Grundsicherung + NUR 3 TAGE PFUSCHEN im Monat locker haben können?! Hä?

Das ist wirklich Kommunismus pur, was hier herumgeistert. Frei nach K. Marx: (Grund)bedürfnisse aller Menschen werden von der Gesellschaft gestillt und jeder will freiwillig leisten was er kann.
Wuhaha - man hat es 50 Jahre lang in Europa (und sogar einem Teil Deutschlands) versucht. Das Ergebnis hat man anscheinend schon vergessen, obwohl es seit dem Mauerfall nur 17 Jahre her sind!

Nicht zuletzt sollte man nicht vergessen, dass Deutschland und Österreich in einer globalen Welt im harten Konkurrenzkampf bestehen müssen.

Man möchte süß träumen aber aufwachen wird man dann im real existierenden Kommunismus - nur dann wird es zu spät.

Grüße C.

scorpion260
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

@ Cicolia [#64]

Wir stimmen mal vollkommen überein.
Was für ein schönes Geschenk zum Freitagabend*g.

Gruß

Scorpion

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pullPUSH
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

Ein Beispiel - 2 Extreme:

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pullPUSH
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

Hoppla da fehlt noch was..

Der Arbeitsmarkt bietet für einen Facharbeiter (Industriemechanik)

a) 15.329 Euro
b) 54.000 Euro

Jetzt darf sich jeder aussuchen was der Bruttojahresarbeitslohn bei einem Personalleasing Unternehmen und bei einem Autohersteller im Schichtdienst ist. So viel zur krassen Spanne bei völlig gleicher Qualifikation.

Die Frage wird nicht mehr sein wie werden Arbeitslose besser qualifiziert oder Bildungsarme besser ausgebildet sondern wie verdienen sie noch Geld in der freien Wirtschaft? Unsere Wirtschaft kann derzeit nicht noch mehr 54.000 Euro Jobs wie im Beispiel oben bieten.

Schaut man sich die 15.329 Euro an wird schnell klar das ein Familienvater mit den derzeitigen "Sozialbezügen" leicht auf das gleiche Einkommen kommt.

Um auf den Punkt zu kommen - wir haben längst ein Grundeinkommen nur wird es anders bezeichnet - die gute alte Sozialhilfe.

tradexxx
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

@Ciola & Pull

Pullpush bringt die Sache auf den Punkt: "Grundeinkommen existiert eh schon" - nur unter einem gigantischen bürokratischen und unnötig teurem Aufwand.

Mit Sozialismus hat das Grundeinkommen nichts zu tun. Sondern damit einen staatlich verordneten Absicherungs- und Bürokratiewahnsinn zu ersetzen. Dem Einzelnen die flexible und notwendige Wahlmöglichkeit zu überlassen wann und wieviel soziale Sicherheit er möchte - statt sie staatlich einfach fest zu legen.

Deutschland und die Deutschen kennen das überhaupt nicht mehr, aber: Dort draußen gibt es einige Milliarden Menschen, die auch ohne Rentenversicherungen und Krankenversicherungen leben. Leben diese Menschen unglücklicher? Schlechter?

Wenn man einen Deutschen fragt und dann einen Menschen aus diesen Ländern, dann wird der Deutsche mit Sicherheit seine Situation schlechter beurteilen und mehr Angst vor der Zukunft haben als jemand aus einem dieser Länder. Hat das deutsche System der totalen sozialen Absicherung dieses Land also wirklich konstruktiv verbessert?

Das deutsche System ist im Grunde ein Angstsystem - und Angst erzeugt Lähmung. Und genau damit hat das Land zu kämpfen.

tradexxx
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

Die Kernfrage "Grundeinkommen" lautet:

Schafft man das Sozialsystem ab?

oder

Kann man die Vorzüge der Erfindung "Sozialsystem" erhalten und in die Verantwortung der Bürger legen?

Cicolia
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

@ tradexxx [#69]

Du hast vergessen, diese Frage zu beantworten: warum dann diese Leute noch 8 Stunden täglich arbeiten gehen sollten, wenn sie das gleiche durch die Grundsicherung + NUR 3 TAGE PFUSCHEN im Monat locker haben können?!

Noch ein Detail am Rande: Der Durchschnitt der Schätzungen uber die Mehrkosten der österreichischen 726,- Euro Grundsicherung gegenüber dem derzeitigen Sozialsystem liegt irgendwo bei bei 1 Mrd Eur. Auf Deutschland umgelegt könnte man also Mehrkosten von 10 Mrd Euro erwarten.

Gruß Cico

tradexxx
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

1. Wie soll man sich denn ein materiell angenehmes Faulenzer-Leben mit Summen zwischen 600 - 800 Euro leisten, wenn 500 Euro für die Sozialversicherungen drauf gehen, 300 Euro für Miete, 100 Euro für Nebenkosten und 400 Euro für Lebensmittel?

Grundeinkommen bedeutet ein flexibles Existezminimum - das der Einzelne selbst verwaltet - mit allen Konsequenzen und Verantwortlichkeiten. Es bedeutet NICHT Konsumsicherung.

2. Das System Grundeinkommen setzt voraus, dass SÄMTLICHE staatlichen Sozial-Einrichtungen, Förderungen, Behörden, Zuschüsse usw. gestrichen werden - plus ein Großteil des Finanzamtes.

Ich bin kein Experte für staatliche Behördenkosten, aber ich kann mich nicht vorstellen, dass da so viele Mehrkosten anfallen würden - immerhin streicht man damit einen großen Teil des Staatsapparates.

Es mag auf den ersten Blick absurd klingen, habe ich auch erst gedacht. Aber wenn man genauer hinschaut, steckt in der Idee eine Menge fortschrittliches, langfristiges, konstruktives Potential - was man ich in allen anderen Ansätzen und "Reform"-Gerede nicht wirklich erkennen kann.

Zumindest bringt es eine provokative Variante auf den Tisch, die gegen eine Menge Denkblockaden anläuft - allein dafür lohnt sich die Idee schon.

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