benedikt54
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Italienische Schauermärchen im deutschen Blätterwald

Wie schon mal oder öfter geschrieben. Der ökonomische Dreck in den deutschen Medien

ist nicht mehr zu ertragen. Erfrischend hingegen folgender Beitrag

https://makroskop.eu/2018/05/italienische-schauermaerchen-im-deutschen-…

Die deutschen Reaktionen auf die Pläne der gescheiterten Koalitionäre in Italien sind Zeugnis für den Zustand Europas. Willkommen zur Märchenstunde in den deutschen Kommentarspalten und Kolumnen!

Bis heute stand die drohende Koalition aus Cinque Stelle und Lega unter dem Dauerbeschuss deutscher Politiker und Leitartikler. Die forderten die Italiener auf, „nicht den Pfad der Vernunft“ zu verlassen und sich an die Regeln der Währungsunion zu halten. Indirekt galten diese Worte natürlich auch dem Staatspräsidenten Sergio Mattarella. Und der ließ sich weichklopfen. Das Veto des „Unbeugsamen“ (Spiegel) hat die populistische Bedrohung vorerst abgewendet.

Ganz vorneweg Jan Fleischhauer, der den „Schnorrern von Rom“ ein dolce far niente („das süße Nichtstun“) vorwirft und damit einmal mehr das Stereotyp vom „faulen Südländers“ bemüht. Alles schon einmal gehört, denken Sie? Aber sicher! Auch als es Yannis Varoufakis als Finanzminister der „Pleitegriechen“ wagte, der Austerität in Europa eine Alternative entgegenzusetzen, reagierte der überwiegende Teil der deutschen Medien mit den immer gleichen faulen „Argumenten“.

Man muss kein Medienwissenschaftler sein, um zu merken, dass Deutschlands Verantwortung für die Krise in der Berichterstattung kaum eine Rolle spielt. Am Beispiel der Süddeutschen Zeitung lässt sich exemplarisch zeigen, dass die Schuld der Krise in Europa allen anderen zugeschoben wird – vor allem Griechenland und der EZB. Zitiert werden nur jene Politiker, die vorwurfsvoll gen Süden zeigen.

„Vernunft“ und „Tugend“ …

Selten scheint sich das Establishment so einig gewesen zu sein wie bei der Verdammung der Vorhaben der Fast-Regierungskoalition in Italien. Es sind die immergleichen Phrasen und Instant-Warnungen, die zu hören sind. Christian Lindner meint, Europa bleibe nur mit wirtschaftlicher Vernunft und der Achtung der Verträge stabil. Markus Söder und CSU-EU-Parlamentarier Manfred Weber finden, man müsse Italien zur finanziellen Vernunft bringen (hier und hier). Ein Kommentar der Tagesschau mahnt eine „Rückkehr Italiens zur Vernunft“ an. Ein Schelm, der hier an Gleichschaltung denkt.

Dass deutsche Sparpolitik und Lohnzurückhaltung das genaue Gegenteil von Vernunft sind – geschenkt. Dass Staatsausgaben nicht nur aus italienischer Perspektive ein probates Mittel, Schulden also enorm vernünftig sind, um Wachstum zu generieren – so etwas überhaupt lesen zu dürfen, bedarf es der langen Suche.

Fündig hätte man bei Roland Pauli werden können. Der schildert, wie der italienische Exportsektor trotz seiner relativen Stärke und der erwirtschafteten Außenhandelsüberschüsse keine ausreichend hohe Nachfrage generieren kann, um die schwache Binnennachfrage zu kompensieren. Aufgrund des Lohndrucks aus Deutschland, einer unzureichenden Produktivitätsentwicklung und hoher Arbeitslosigkeit sind auch Einkommenssteigerungen nur begrenzt möglich.

Übrig also bleibt nur der böse Staat als Nachfrage schaffender Akteur. Pauli schreibt, es brauche eine „deutliche staatliche Nachfragesteigerung und eine aktive staatliche Regional- und Investitionspolitik“, um die italienische Wirtschaft zu beleben. Zufälliger Weise also genau das, was Cinque Stelle und Lega in ihr Regierungsprogramm geschrieben hatten.

Und genau das dürfte wohl der Grund sein, der Daniel Caspary, Chef der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, die Finanzmärkte beschwören lässt. Die würden, ist sich Caspary sicher, Italien „notfalls auf den Pfad der Tugend zurückführen“. Was aber ist das für ein Demokratieverständnis, wenn Caspary meint, dass die Finanzmärkte eine demokratisch gewählte Regierung maßregeln sollen?

Tatsächlich sind es die Sorgen der Märkte, nicht die der Bürger, welche die Kommentarspalten der Leitmedien füllen. Oder können Sie aus dem Stehgreif einen deutschsprachigen Artikel nennen, der zu begründen versucht, warum zwei populistische Parteien als die stärksten Kräfte aus der Wahl in Italien hervorgegangen sind?

Es ist ein Phänomen, dessen Analyse auch die dahinsiechende SPD interessieren müsste. Schließlich war es ihre Schwesterpartei unter Matteo Renzi, die ihr Debakel erlebte. Stattdessen posaunte Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, Italien dürfe seinen Platz „nicht in der trügerischen Sicherheit des Nationalismus“ sehen. Auch Roth – und damit steht er stellvertretend für seine Partei – hat nicht verstanden, dass das böse Erwachen in Italien nicht zuletzt eine Reaktion auf den deutschen Merkantilismus ist.

… bei gleichzeitiger deutscher Missachtung der EU-Abkommen

Doch damit Sozis wie Roth nicht auf dumme Gedanken kommen, gibt es Cerstin Gammelin von der Süddeutschen Zeitung. Die erinnert daran, dass es Regeln in der Währungsunion gebe, die man unterschrieben habe. Dass die Italiener „keine Lust auf regelkonformes Haushalten“ hätten, versteht Gammelin nun überhaupt nicht – schließlich werde „gerade in Deutschland ganz besonderer Wert auf Regeltreue gelegt“.

Dass Deutschland seit Jahren die EU-Regeln bricht und dafür wiederholt von der EU-Kommission (seit 2014 jährlich) und vom Internationalen Währungsfonds kritisiert wird ist offenbar eine unerhebliche Bagatelle. So liegt der deutsche Leistungsbilanzüberschuss seit 2011 (bis einschließlich 2017) teilweise weit über den erlaubten 6 % des BIP. Für den IWF trägt Deutschland damit zu den Ungleichgewichten in der Euro-Zone bei. Die „besondere Regeltreue“ der tugendhaften und vernünftigen Deutschen – eine Chimäre.

Eine andere Geschichte

Erwähnt sei, dass der ganze Tugendwahn übrigens mit dem Bündnis für Arbeit unter Kohl und Schröder begann. Die Lohnzuwächse wurden unter das Produktivitätswachstum gedrückt, Arbeiter und Angestellte mussten so auf ihren gerechten Anteil am Wachstum verzichten. Mit den Hartz IV-Reformen wurden zudem die Sozialleistungen gekürzt. Vom Lohnverzicht der Arbeitnehmer haben allein die Unternehmen profitiert. Und mit der Dumpingkonkurrenz wurde Deutschland zum Weltmeister beim Export von Arbeitslosigkeit. Die Importeure waren unter anderem die Italiener.

Insofern sollte man den deutschen Arbeitern den Werbespruch eines Elektronikmarktes ans Herz legen: „Lass dich nicht verarschen“! Die Lösung der Euro-Krise besteht nicht darin, dass die Italiener ebenfalls den Gürtel enger schnallen. Blühen würden mittelfristig dann auch hierzulande wieder sinkende Löhne und ein weiter Abbau des Sozialstaats.

Die Aussicht, dass der deutsche Merkantilismus in einem baldigen Zusammenbruch der Eurozone enden könnte, wenn Euro-Länder wie Italien nicht länger Lust haben, dieses Spielchen mitzuspielen, mutet da fast schon rosig an. Und Lega-Chef Matteo Salvini hat, wie er unlängst auf Twitter schrieb, ganz offensichtlich keine Lust mehr:

„Deutsche Zeitungen und Politiker beschimpfen uns als italienische Bettler, Nichtstuer, Steuerhinterzieher, Schnorrer und Undankbare. Und wir sollen einen Wirtschaftsminister auswählen, der ihnen passt? Nein danke!“

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