Richard Ebert
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Deutschland: Am Rande des Abgrunds

Bundeshaushalt: Am Rande des Abgrunds

Von Manfred Schäfers

(13.11.04) Die deutsche Finanzpolitik ist reich an Versprechen. Der zuständige Minister kündigt viel an - seit Jahren mehr, als er halten kann. Nachdem der Haushaltsausschuß die Vorlage von Hans Eichel so gut wie ohne Korrekturen gebilligt hat, soll auch diesmal wieder alles gut werden: Der Haushalt 2005 sei verfassungsgemäß, da die Neuverschuldung niedriger ausfalle als die Investitionsausgaben, beteuert Eichel.

Obwohl des Ministers Plan scheiterte, durch eine Verlegung des deutschen Nationalfeiertags auf einen Sonntag das Wachstum und damit die Einnahmen des Staates um zwei Milliarden Euro zu erhöhen, verspricht Eichel des weiteren, Deutschland werde im nächsten Jahr die europäische Stabilitätsvorgabe wieder einhalten.

(Quelle und ausführlich weiter lesen: Frankfurter Allgemeine Zeitung, http://www.faz.net)

fluggerät
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

@ he96

Ausgesprochen clever, die Piloten haben nur die Intelligenz der Steuerfahndung unterschätzt, wie das Beispiel Boris Becker gezeigt hat.

Richard Ebert
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

Bärbel und die Feldhamster - Eine wahre Geschichte aus Nordrhein Westfalen

Worin sehen die Unternehmer des Landes die wichtigsten Herausforderungen? Aus ihrer Sicht favorisieren sie in einer aktuellen Umfrage mit Abstand drei Forderungen: Unterstützung des Mittelstands, bürokratische Entschlackung und Kürzung von Subventionen.

Diskutiert die Wirtschaft über die – durchaus deutungsfähigen – Rahmenbedingungen, taucht alsbald die Story vom Feldhamster auf. Der putzige Nager, artengeschützt, hat sich in zwei Fällen als milliardenschweres Investitionshindernis entpuppt. So plant RWE in Grevenbroich-Neurath ein modernes Braunkohlekraftwerk. Auf dem Bauplatz aber entdeckten emsige Ökofreaks angeblich Hamsterbauten. Zuvor hatte der Hamster bereits den Bau eines Gewerbeparks bei Aachen mit 12000 Jobs um ein Jahrfünft verzögert. Lebende Tiere wurden zwar nicht gefunden, was der grünen Empörung indes keinen Abbruch tat.

„Wir sind für Feldhamster, aber sind dagegen, dass drei Feldhamster, die keiner gesehen hat, Milliardeninvestitionen verhindern“, spottet denn auch CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers. Inzwischen legte die Landesregierung ein Artenhilfsprogramm mit biologischer Koordinationsstelle an. Kosten: 200.000 Euro. Eine Feldhamster-Meldeprämie von 150 Euro wurde ausgelobt.

Die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn berichtet, dass im Kreis Neuss tatsächlich 2003 neben 79 Hamsterbauten „zwei tote Feldhamster und vier verlassene Jungtiere gefunden wurden, im Jahr 2004 zwei tote Feldhamster“. Dagegen wettert der FDP-Wirtschaftsexperte Papke: „Das ist ein Stück aus dem Tollhaus und ein bizarrer Fall von Steuerverschwendung.“ Würde sich die rot-grüne Landesregierung genauso für neue Jobs in NRW interessieren wie für ein paar tote Feldhamster, „hätten wir die Beschäftigungskatastrophe in unserem Land verhindern können“.

4563 Umweltstellen

Den NRW-Unternehmern fehlt der Humor, die Feldhamster-Posse als satirischen Treppenwitz oder als Entgleisung übereifriger Umweltschützer abzulegen. Sie sehen darin eine Schieflage zwischen Ökonomie und Ökologie, die zu korrigieren die SPD nicht fähig ist. In der Düsseldorfer Landesregierung gibt es nach Berechnung der CDU 4563 Stellen im Bereich Umweltschutz, aber nur 417 Stellen für die Wirtschaft.

select
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@Freunde

Es geht nur vorwärts:-) Wie war der Spruch noch einmal: " Vorwärts immer, Rückwärts nimmer":-)))))

Gruß select

HappyHippo
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Thomas Fricke: Die Deutschen jammern nur
von Thomas Fricke

Alle Welt hat gute Gründe, vor der Konkurrenz von Billiganbietern zu zittern. Außer den Deutschen, deren neurotische Sofa-Globalisierungsexperten die größten und absurdesten Absturzszenarien verbreiten.

So sehen wahre Globalisierungsverlierer aus
So sehen wahre Globalisierungsverlierer aus

Italiens Textilbranche registriert zweistellige Einbrüche. Griechen und Portugiesen auch. Der Grund ist derselbe: die Flut von Billigimporten aus China. Die trifft auch andere. Selbst die sich sonst so liberal gebärdenden USA schränkten diese Woche den Zugang für die Asiaten ein: um die eigene Industrie vor der marktwirtschaftlichen Billigkonkurrenz zu schützen (Bush, nicht Müntefering).

Nur die Deutschen nehmen das Ganze gelassen, und das könnte symptomatisch sein. Denn: Während hier aufgeregt über Kapitalismus gezetert wird, bekommen andere zu spüren, was wirkliche Billigkonkurrenz bedeutet. Der Verdacht drängt sich gar auf, dass die international geübten Deutschen eher zu denen zählen, die am wenigsten zu fürchten haben - weil sie vormachen, wie reiche Länder dank ausgefeilter Spezialisierung auf Hochwertiges in der Globalisierung ihren Platz finden.

Nein, die Firmen fliehen nicht

Vergessen Sie die Sofa-Ökonomen und Lobbyisten, die den Deutschen seit Jahren tumb Ängste einjagen. Die Experten des European Restructuring Monitor (ERM) registrieren sorgsam jede Zeitungsmeldung über Jobabbau in Europa. Und? Aus keinem Land wurden seit 2002 so viele Jobs ins Ausland verlagert wie aus - Großbritannien. Mit Abstand sogar.

Britische Callcenter sitzen jetzt in Indien. In Italien schrumpfte der Anteil der Textilhersteller an der nationalen Wertschöpfung seit 1990 um 40 Prozent. Portugals Textilexporte sanken allein seit 2003 um fast die Hälfte. Einige US-Senatoren würden am liebsten alle Importe aus China mit 27 Prozent Zoll belegen. "Die USA fallen in alten Protektionismus zurück", sorgt sich der Internetdienst Economy.com. Hoffentlich werden die Amerikaner nicht kapitalismuskritisch.

Kein Wunder vielleicht: Das US-Handelsdefizit mit China nimmt dramatische Ausmaße an - zuletzt waren es monatlich mehr als 15 Mrd. $. Anfang der 80er Jahre gab es noch Überschüsse. Ähnliches gilt für Italien. Alles in allem fiel Amerikas Weltmarktanteil von 14 auf gut zehn Prozent. Seit 2002 baute die US-Industrie unter dem Druck globaler Konkurrenz drei Millionen Stellen ab: ein historischer Absturz, der an ostdeutsche Verhältnisse erinnert.

All das passt nicht recht zur Tante-Emma-Globalisierung, wie sie deutsche Talkshows und Mehrwisser-Blätter erzählen. Danach müssten Amerikaner, Briten und Portugiesen dank niedriger Kosten und Flexibilität weit besser dastehen als die Deutschen.

Weit gefehlt. Kein westliches Land hat im Schnitt eine so starke Position auf Billigmärkten wie Deutschland, kein einziges hat trotz immer neuer Konkurrenten in etwa seinen Weltmarktanteil gehalten. Während die Amerikaner auch in Osteuropa milliardenschwere Defizite einfahren, verkaufen die Deutschen in den neuen EU-Ländern monatlich für Hunderte Millionen Euro mehr, als sie dort kaufen. Mehr als nach Amerika. Die Exporte nach China haben sich seit 2000 glatt verdreifacht.

Grotesk ist auch das Gedröhne über fliehende deutsche Firmen. Es gibt "weit mehr Zitate von Politikerklagen über Verlagerungen als Beispiele für Jobverlagerungen", ergaben Recherchen von Dirk Chlench von der Hypothekenbank Essen. Meist sind es dieselben Betriebe, die zitiert werden, andere drohen nur. Nach Zählungen der Bundesbank haben deutsche Firmen von 2001 bis 2003 weltweit sogar Stellen abgebaut - nicht aufgebaut. Und: Von den 200.000 Jobs, die deutsche Firmen laut ERM-Erfassung zwischen 2002 und 2004 kürzten, wurden nicht mal fünf Prozent ins Ausland verlagert. "Mehr Mythos als Realität", urteilt Elga Bartsch von Morgan Stanley.

Die Lösung des Rätsels ist, dass es offenbar noch anderes geben muss als Kostentabellen, auf die das Verständnis globalen Wirtschaftens hier zu Lande oft reduziert wird. "Wenn weniger deutsche Callcenter nach Indien abwandern als britische, liegt das auch daran, dass Inder kein Deutsch sprechen", vermutet Bartsch - so günstig die Inder sein mögen.

"Die Wertschöpfungsketten moderner Industrien ähneln eher komplexen Netzwerken mit vielfältigen Verflechtungen, wobei der Preis nur eine Komponente neben anderen ist", so Henning Klodt vom Institut für Weltwirtschaft. Mindestens so wichtig seien Qualität, Verlässlichkeit und Flexibilität. Und dabei sind wir offenbar doch nicht so schlecht.

Fruchtbare Arbeitsteilung in Branchen

Globalisierung geht anders. Bis vor einiger Zeit habe es mit Osteuropa eine Arbeitsteilung gegeben, bei der die einen auf höherwertige Branchen setzten, die anderen auf einfacher Herzustellendes, sagt Hubert Gabrisch vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Jetzt zeichne sich eine ebenso fruchtbare Arbeitsteilung innerhalb von Branchen ab: Ost und West produzieren zum Beispiel Maschinen - im Osten mangels Erfahrung einfache, im Westen hoch spezialisierte. Weil es für beides Nachfrage gebe, profitierten alle davon.

Die Spezialisierungs-Diagnose könnte erklären, warum andere die Billigkonkurrenz derzeit schmerzhafter spüren. Der Wettbewerb ist zwischen jenen am heftigsten, die sich ähnlich spezialisiert haben: zwischen Portugiesen, Osteuropäern und Chinesen eben. Die Tschechen stellen heute 80 Prozent weniger Lederschuhe her als 1995 - weil Asiaten das jetzt noch billiger machen. Selbst Amerikas Wirtschaft bietet vieles an, was einfach zu kopieren ist und daher eher mit Asiaten konkurriert. Beispiel IT-Hardware. Oder mittelmäßige Autos. "Die Deutschen haben anders als die Amerikaner einfach weniger Billigjobber, die überhaupt noch verlagert werden könnten", sagt Elga Bartsch.

Deutsche Firmen schützt all das zwar nicht per se vor Konkurrenz (was auch nicht Sinn von Marktwirtschaft ist), zumal der größere Druck von ähnlich spezialisierten Firmen ausgeht. Aber es erklärt, warum Amerikaner so aufgeregt bemüht sind, den Kapitalismus in diesem Fall dann doch mal auszusetzen - während die Deutschen geübt kapitalistisch billige T-Shirts und Computer kaufen, die sie eh nicht mehr produzieren.

Aus der FTD vom 20.05.2005
© 2005 Financial Times Deutschland, © Illustration: ftd.de

Kobban
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

Als angerufene Kraft, alles in Ordnung zu bringen, wirkt die Politik hauptsächlich dadurch, dass sie dem Appellieren an die Politik selbst keine Schranken setzt. Die Politik (re)produziert Hoffnungen und Enttäuschungen und lebt davon, dass gegenwärtige Themen, an denen dies geschieht, hinreichend schnell ausgetauscht werden können.

Das Einbringen ökologischer (Schein?)Probleme in die Politik verstärkt die Aufschaukeleffekte, denn nun wird vollends deutlich, dass die Politik viel können MÜSSTE aber wenig können KANN.

Dem Hamster immerhin fehlt der Humor nicht. Er lacht sich ins Fäustchen.

Auf unsere Kosten! Oder lässt sich der Feldhamster (genauso wie der Transrapid) nach China exportieren?

Politisch durchgebrachte Regulierungen, wenn sie einmal in Kraft gesetzt sind, sind leider oft stabiler, als gut wäre. Das Geltende wieder in Frage zu stellen und die Kompromisse wieder aufzulösen, ist in Deutschland zu schwierig, und für die Politiker ja auch oft nicht ratsam. Politiker wissen nie, ob sie Gleichwertiges wieder zustandebringen.

Gesetze, Bestimmungen und Erlasse brauchen ein Haltbarkeitsdatum wie Quark, Eier, Milch usw. im Supermarkt, erst dann kann eine sozusagen automatische Flexibilität Deutschland wieder auf die Beine helfen.

Und vielleicht profitiert der Feldhamster davon auch

Gruss Kobban

select
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

"Wir sind Unternehmer, nicht Unterlasser"

Es gibt immer neue Ansätze. Da hilft kein ständiges gejammere. Selber den Weg gehen, auch wenn viele Steine geworfen werden. Wo ist es denn viel besser als bei uns? Ich rede nicht von einzelnen in der CH oder NO, sondern auf die Gesellschaft bezogen. Wo bitte?

Gruß select

"Gebrüder Immlers Isnyland
AUS ISNY HEIKE HAARHOFF

Die Gebrüder Karl und Jakob Immler sind gewiss keine Sprücheklopfer. Aber es gibt Lebensweisheiten, die sie nicht für sich behalten möchten. "Frage nicht, was der Staat für dich tun kann, sondern was du für den Staat tun kannst", ist so ein Motto. Kennedy hat den Satz mal gesagt, und Immlers haben ihn in Stein meißeln lassen - mitten in die Wand der neuen Realschule von Isny, und geringfügig verändert, "Staat" ersetzten sie durch "Stadt".

Das konnte als Seitenhieb verstanden werden und war ihr gutes Recht, finden die beiden Immobilienunternehmer aus dem Allgäu. Schließlich hatten sie der Stadt Isny das vier Millionen Mark teure Schulgebäude 1999 komplett und zinslos vorfinanziert - eine Einmaligkeit in der Schulgeschichte der Bundesrepublik Deutschland.

"Das ist nicht mehr unsere Schule, wir betreten sie nicht mehr." Die Brüder Immler, Karl ist 57, Jakob 55 Jahre alt, sprechen den Satz fast gleichzeitig aus, er klingt wie ein Fluch. Sie sitzen an einem ovalen Holztisch im Konferenzraum ihrer Firma am Rande des Gewerbegebiets von Isny. Mit ihrer Überzeugung, dass es weder manierierter Sprache noch maßgeschneiderter Kleidung bedarf, um bei den Eliten der Allgäuer Geschäftswelt zu bestehen, wirken sie wie Zwillinge. Seit 30 Jahren verdienen sie ihr Geld mit dem Bau und der Vermietung großer Flachdachhallen an Supermärkte, Drogerieketten und Gartenbaucenter. Von Oberstdorf bis Stuttgart verbinden Banken und Kunden ihren Namen mit Solidität. In Isny sind sie die größten Mäzene. Sie sagen: "Wir dachten, ein Handschlag zählt etwas."

Aber bei der Einweihung war der Wandspruch zugehängt. Und von dem "Neidhammelfest" war auch keine Rede mehr. Als Bedingung für ihr Engagement hatten die Brüder der Stadt nämlich das Versprechen abgenommen, dass jedes Jahr ein ausgestopfter Hammel öffentlich verbrannt werden sollte - damit in Isny die Neidhammel aussterben. Insbesondere die, die den wirtschaftlichen Erfolg der Gebrüder Immler nicht ertragen. Aber obwohl sie die Realschule finanziert hatten, wurden ihre Wünsche nicht erfüllt.

Trotz der Enttäuschung wollen Karl und Jakob Immler jetzt wieder bauen. Wieder in Isny, wieder für Isny, wieder auf eigene Kosten. Mit einer Unterstützung seitens der Stadt rechnen sie nicht. "Aber wir bauen schließlich nicht, damit man uns den roten Teppich ausrollt", sagt Karl Immler. Dabei vereint ihr Vorhaben Eigeninitiative, Verantwortung fürs Gemeinwohl, neue Arbeitsplätze - alles, was gemeinhin auf dem Wunschzettel von Politikern an Unternehmer steht. Eine ganze Siedlung, 50 frei stehende Häuser à 200 Quadratmeter Wohnfläche plus Gärten, Straßen, Plätze, wollen die Brüder in den kommenden 15 Jahren mit ihrem privaten Kapital nach Isny zaubern - und für einen symbolischen Euro pro Monat an kinderreiche Familien vermieten.

Wer seit mindestens drei Jahren in Isny lebt, vier Kinder hat oder mehr, und bereit ist, diese nach Schulschluss selbst zu betreuen, zugleich die Großeltern bei sich zu Hause pflegen möchte und zusätzlich noch 20 Stunden ehrenamtliche Arbeit pro Monat leisten kann, soll einziehen dürfen. In eine Wohnform, die sich viele große Familien kaum leisten können: ein Eigenheim.

Ähnlichen Idealismus hat es auch andernorts gegeben. Er endete meist bei der Kreditwürdigkeit. Das Konzept der Gebrüder Immler scheint seriös kalkuliert. Die Stiftung, die die Siedlung aufbauen soll, haben die Brüder am vergangenen Heiligabend gegründet, das Kapital stammt aus den Mieteinnahmen eines ihrer Supermärkte. Um ein 50.000 Quadratmeter großes Grundstück am Stadtrand verhandeln sie mit einem Privateigentümer. 14.200 Einwohner zählt Isny. Die Siedlung böte Wohnraum für 400 bis 500 Menschen zusätzlich.

Die Realschule subventionierten die Immlers vor Jahren, weil deren Absolventen im Idealfall sind wie Isny und ein bisschen wie die Brüder auch: bodenständig, berechenbar, konstruktiv. Jetzt aber geht es ums große Ganze. Die Siedlung soll zum ersehnten demographischen Wandel in dem Luftkurort beitragen. Und Maßstäbe setzen: welche Formen des Zusammenlebens förderungswürdig sind und welche nicht. Denn wer ein Immler-Haus will, muss auch ein Immler-Leben führen.

Karl und Jakob Immler. Beide tragen Vollbart, beide haben Hausfrauen und drei beziehungsweise zwei Kinder. Wenn sie sich mal Urlaub gönnen außerhalb des Allgäus, dann bestimmt nicht in mondänen Gegenden: eine Ferienanlage auf Gran Canaria, finden sie, tut es auch. Bei allem beruflichen Erfolg haben sie nie das Maß verloren.

Die Brüder sagen von sich, dass sie viel Glück hatten im Leben. Sie waren die ältesten von sieben Geschwistern. Ihre Eltern hatten einen Hof, jeweils drei Kinder teilten sich ein Zimmer. Wer Taschengeld wollte, musste es sich erwirtschaften: durch Schuheputzen, Gartenarbeit, Abwasch, Betreuung der Kleineren. Die Verhältnisse waren bescheiden, der Zusammenhalt der Familie riesig. Niemals, sagen die Brüder, wäre jemand auf die Idee gekommen, den Staat anzubetteln. Das verbot die Ehre. Und haben sie nicht selbst bewiesen, dass man es schaffen kann, aus eigener Kraft?

Die Immlers sind Einmischer. Seit Jahrzehnten investieren sie überschüssige Gewinne großzügig in gemeinnützige Projekte, Brunnen, Radwege, Skulpturen. Dinge, für die der Stadt das Geld fehlt, bedauert der Bürgermeister. Dinge, zu denen die Stadt unfähig ist, weil sie vom Rechnen nichts versteht, höhnen die Immlers.

So was verletzt Eitelkeiten, zumal in einer Kleinstadt. "Die Brüder bekämen viel mehr Anerkennung, wenn sie nicht immer so auf ihre eigenen Vorstellungen pochen würden", sagt die Leiterin der Realschule. "Sie haben einen ausgeprägten gesunden Menschenverstand und folglich Schwierigkeiten mit der deutschen Bürokratie", sagt der Vorsitzende der IHK. "Druck erzeugt Gegendruck", sagt der stellvertretende Bürgermeister.

Seit ihrer Firmengründung vor bald 30 Jahren haben die Brüder und die Stadt Isny 37 Mal vor Gericht gestanden. Im einen Fall klagten die Geschäftsleute, im anderen die Vertreter der Verwaltung. Mal ging es um die Farbe eines Fassadenanstrichs, mal um die Neigung eines Dachs. Stets waren es Angriffe auf die Meinungsfreiheit, sagen die Immlers. Stets sollte gezeigt werden, dass es keine Sonderbehandlung einzelner Bauherren gibt, egal, wie altruistisch ihre Ideen auf anderem Gebiet seien, argumentiert die Stadt. 36 Mal entschieden die Gerichte für die Immlers, ein Verfahren endete mit einem Vergleich.

"Wir lieben unsere Heimat", sagt Karl Immler. Nicht jeder im Ort nimmt den Brüdern das ab. Es wird getuschelt. Steuertricks, womöglich parteipolitisches Interesse. Das Misstrauen ist groß. Die CDU ist traditionell die stärkste Partei in Isny, seit Jahrzehnten stellt sie den Bürgermeister. Ihr anzugehören kann in der Geschäftswelt des Allgäus von Vorteil sein. Die Immlers dachten das auch mal. Vor 15 Jahren traten sie aus. Zu lebensfern erschienen ihnen die Parteioberen: "Die hatten doch noch nie in ihrem Leben richtig gearbeitet, die wussten doch gar nicht, wovon sie sprachen."

Irgendwer aber, finden sie, muss die drängenden Probleme der Gesellschaft lösen, doch der Staat ist der Letzte, dem sie diese Aufgabe zutrauen. "Denn was tut der Staat gegen Kinderlosigkeit?" Jakob Immler ruft die Frage aus, er ist der impulsivere der Brüder, und angesichts der Zornesröte in seinem Gesicht errät man, dass es nur das Falsche sein kann, was der Staat unternimmt, um seine Bevölkerung zu mehren. Er schreit fast: "Ein Reparaturbetrieb ist der Staat!". Subventioniert teure Kindergärten, Schulspeisungen und Hausaufgabenbetreuung. Ermöglicht dadurch manchen Frauen, dass sie auch arbeiten, na schön. Aber zu welchem Preis? Zum Preis von Schlüsselkindern, Rauschgiftsüchtigen, Alkoholabhängigen. Und man soll ihm, Jakob Immler, bloß nicht kommen mit Einwänden. Dass sich der Eindruck aufdrängt, beispielsweise, dass, wenn man so schlendert durch die schmalen Gassen des Luftkurorts Isny, die verschneiten Voralpen im Blick, dass man dann also leicht versucht ist zu glauben, die größte Gefahr, dass Kinder hier vom rechten Weg abkommen könnten, seien herabstürzende Dachlawinen.

Mag ja sein, dass es anderswo schlimmer ist. Für seinen Bruder und ihn ist das kein Maßstab. Sie beobachten seit Jahren die Kinder in der angeblich heilen Welt von Isny. Kinder, deren Eltern nicht da sind und wenn doch, dann von der Arbeit gestresst und gleichgültig gegenüber den Bedürfnissen ihres Nachwuchses. Was soll aus solchen Kindern werden? Wer vermittelt ihnen Werte, Tugenden, Lebensperspektiven? Und vor allem: das Gefühl, es lohne sich, für eine Gemeinschaft zu leben? Im Job, falls sie überhaupt einen finden, engagieren sich solche Kinder später nicht. Haben aber mit 18 Anspruch auf Wohngeld und Sozialhilfe. So schleppen sie sich durchs Leben, ein Vorbild für niemanden, und irgendwann kommen sie ins Altersheim, weil sich keiner sonst um sie kümmert, und wieder zahlt der Staat. Die Steuern steigen, die Kaufkraft sinkt, und Kinder will schon gar keiner mehr haben, weil das Image, das Familie hat, ein teures, ein unerfreuliches, ein bedrohliches ist.

An ihrer neuen Siedlung aber, sagen die Immlers, wird man sich ein Beispiel nehmen können. Mit einer wissenschaftlichen Begleitforschung wollen sie nachweisen, dass sich die Lebensform, die sie kennen, leben und für die richtige halten, der Volkswirtschaft nützt. Die Chancen sind gut, dass sie den Test bestehen werden. Denn wer einzieht, bestimmen schließlich sie selbst und nicht etwa die baden-württembergischen Wohnungsämter: "Den Sozialhilfeempfänger aus Rostock wollen wir nicht", sagt Jakob Immler. "Die arbeitslose zwölfköpfige rumänische Familie auch nicht", pflichtet ihm Karl Immler bei. Die Brüder finden diese Vorstellung lustig.

taz Nr. 7606 vom 4.3.2005, Seite 5, 271 Zeilen (TAZ-Bericht), HEIKE HAARHOFF"

Roland
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

Select,

deine Absichten und Ideen in Ehren.

Ich habe mal für eine sehr grosse CH Bank ein SAP Profit Analyser Projekt geleitet, das sich mit wirklich jedem Bankgeschäft befasste. Im Mittelpunkt stand immer wieder die Opportunität. Dabei gehts im Wesentlichen darum, ob die Bank Geld Dritten für Geschäfte überlassen soll, oder ob das GEld in Eigengeschäften selbst mehr bringt. Heute kann man dies Produkt bei SAP unter dem Punkt Bankanalyser (Module BA, früher PA) kaufen und im Unternehmen implementieren. Meine Erfahrung ist, dass solch ein Controlinginstrument in keinem Unternehmen fehlen darf.

Diese ständige Opportunitätsbetrachtungen haben echt Spuren bei mir hinterlasse und beeinflussen wesentlich meine Gedanken und Planungen bzgl. zukünftige Geschäfte. Mein Fazit ist, dass sich aus Risk/Reward Gründen, keine konservatives Geschäft lohnt aufzubauen.

Bei jedem Geschäft bzw. VOrhaben kalkuliere ich das Risiko und komme zu dem Schluss, dass ich mit Futures Trading immer wieder jedem konventionellem Geschäft weit voraus bin. Klar, man muss es können und konsistent profitabel sein, aber das muss ich auch, wenn ich einen Gemüseladen oder ein Autohaus betreibe. Kürzlich beschrieb mir ein Gastronom, dass er plane ein neues Restorante zu eröffnen und was er dafür erst mal investieren muss. Okay, die Bank kennt ihn und er ist seit Jahren erfolgreich im Geschäft. Aber er muss sich die 1.2 Mio sFr leihen und dann kann er erst anfangen Ertrag zu generieren ...

Mein Fazit ist, dass die Eintrittshürden bzgl der Risiken heute viel zu hoch sind, als das es sich lohnt ein neues GEschäft aufzuziehen. Viele können nicht anders, weil sie unsere Methoden und Möglichkeiten nicht kennen.

Ich würde unter den gegenwertigen Verhältnissen keinen Euro in die Hand nehmen, um ein neues Geschäft, Fabrik, etc. aufzuziehen.

gautama2
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

@Roland:
Diese Gedanken gehen mir auch immer durch den Kopf und ich komme zum gleichen Ergebnis.
Dennoch bin ich froh, daß nicht jeder das Know-How hat, um dauerhaft an den Terminbörsen zu agieren.
Wo sollte ich sonst Brötchen kaufen und mit welchem Auto sollte ich die 10 Meter bis dahin fahren?

Andererseits: gepflegt Essen gehen ist doch auch ne feine Sache und wenn das Eröffnen von Restaurants wegen der inzwischen gestiegenen Einstiegsrisiken am Ende zu besserer Qualität führt, weil nicht mehr jeder Semmlschmierer loslegen kann, um irgendwelchen Schund unter die Leute zu werfen, so gehöre ich zu denen, die diese Hürden nicht gerade schlecht finden.

Nicht jeder hat das Zeug zum Unternehmer und nur weil die Politiker ihre Statistiken schönen möchten und jeden Arbeitlosen zum Unternehmertum ermuntern, so muss ein Geldgeber diesen Schwachsinn ja nicht unbedingt mitmachen und Caritas für ein Unternehmen spielen, daß von vornherein mangels Wissen zur Pleite verurteilt ist. Ich sitze noch heute wegen der "unternehmerischen" Aktivitäten einer Dame aus dem Osten auf 20.000 Euro Mietforderungen.

So sollte also jeder sein Know-How am richtigen Platz unterbringen können, es ihm nicht unnötig schwer gemacht werden, aber nicht jeder Seckel hat ein göttliches Recht auf Finanzierung eines unternehmerischen Starts.

Viele Grüße

fluggerät
Mitglied seit 10 Jahre 9 Monate

Die Brüder haben erkannt, dass die "moderne Familie" krank ist. Das sehe ich schon lange so. Die angebliche Gleichberechtigung hat Probleme gebracht, wie sie sich vor Jahrzehnten niemand träumen lassen hat. Die Familien sind kaputt, Kinder ist ein Existenzrisiko, dass sich niemand mehr leistet usw.
Scheidung wird zum (Erwerbs-) Geschäft gemacht. Wer den reichten Mann (nach der Scheidung) ausbeutet, ist am angesehensten.
Eine Reform ist in den westeuropäischen Ländern nicht in Sicht, also warten bis die Islamisten mit ihren kinderreichen Familien durch natürliche Selektion in der Mehrzahl sind und demokratisch die intakte Familie mit dem Mann als Oberhaupt und der Frau als Hüterin der Kinder wieder eingeführt haben?
Ob die Mustersiedlung der Brüder diesen Mißstand auch nur ansatzweise ausräumen könnte, möchte ich bezweifeln. Die Idee ist bestimmmt gut, die Familien zu fördern, in denen sich die Generationen noch füreinander verantwortlich fühlen.

Gast

Oh Leute! Wenn ich das hier so lese, könnte ich ja ganz trübsinnig werden.
Familie ist Freude, wenn man sich versteht - will nicht auf die Details von heite eingehen. Habe aber selten soviel heute mit meinen Pupertenören und Puperbässen sowie der Schwiegermutter gelacht, gegessen und in einem tollten Hotel gevöllert. Und ich stelle fest: Nichts verjüngt mehr als der Umgang und die Einlassung auf die Jungen sowie die Alten.

Unternehmertum ist Freude und keine Last. Wem es lästig ist, sollte "Privatier" auf seinen Passierschein schreiben.

Dennoch muss sich zu viel ändern in diesem Land, ehe der Unternehmergeist wieder erwacht. Da habe ich langsam keine Hoffnung mehr wenn auch ich meinen Kindern jeden Tag eine neue Geschäftsidee zu erklären versuche....
/W

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